Anregungen des Fachsenats für Steuerrecht

der Kammer der Wirtschaftstreuhänder

an den Österreich-Konvent

 

erstellt von der Arbeitsgruppe 12 „Verfassungs- und Verwaltungsrecht“ unter der Leitung von Herrn RA Hon-Prof Dr Wolf-Dieter Arnold

 

 

A. Forderungen der Kammer der Wirtschaftstreuhänder

 

*         Prophylaktisch weist die Kammer der Wirtschaftstreuhänder darauf hin, dass sie ein schon im Zuge der Neuregelung des abgabenrechtlichen Rechtsmittelverfahrens (Einführung des UFS) immer wieder zur Diskussion gestandenes Ablehnungsrecht des VwGH in Abgabensachen ausdrücklich ablehnt. Denn durch § 26a VwGG ist sicher gestellt,  dass keine Belastung des VwGH durch Massenbeschwerden eintreten wird.

 

*         Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder schlägt vor, die freien Berufe und den Schutz ihres für ihre Klienten wichtigen Berufsgeheimnisses, insbesondere auch den Beruf des Wirtschaftstreuhänders und die berufliche Verschwiegenheitsverpflichtung bzw den Geheimnisschutz der Wirtschaftstreuhänder, in der österr Bundesverfassung zu verankern.

 

*         Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder schlägt vor, für die Begutachtung von Gesetzesentwürfen im Gesetzeswerdungsverfahren eine verfassungsgesetzlich verankerte Mindestbegutachtungsfristen vorzusehen.

 

Begründung: In den letzten Jahren mussten Begutachtungen großer (steuerlicher) Gesetzesvorhaben oft innerhalb von wenigen Tagen durchgeführt werden, was das Begutachtungsverfahren selbst und letztlich auch die Begutachtungsrechte der Interessensvertretungen zu einer reinen Farce werden lässt.

 

*         Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder schlägt vor, in der österr Bundesverfassung das Verbot zu verankern, Abgabenbestimmungen im Verfassungsrang zu erlassen.

 

Begründung: In dieser sensiblen – eingriffsnahen – Materie soll die Prüfungskompetenz des VfGH nicht ausgeschlossen werden. Zudem ist nicht einzusehen, warum sich der Bund als Abgabengläubiger der Überprüfung seiner Abgabengesetze durch den VfGH (weitestgehend) entziehen können soll, während Landesgesetze immer vom VfGH am Maßstab des Verfassungsrechtes geprüft werden können. Das vorgeschlagene Verbot wäre so zu beschränken, dass zB Zuständigkeitsfragen (oder die Weisungsungebundenheit des UFS) durchaus weiterhin Gegenstand von Verfassungsregelungen sein können.

 

*         Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder schlägt vor, die Einschränkung der Endbesteuerung in Bezug auf das ErbStG (§ 1 Abs 1 Z 2 EndbesteuerungsG; § 15 Abs 1 Z 17 ErbStG) zu beseitigen.

 

Begründung: Nach derzeitiger Rechtslage sind auf Grund der Regelungen des EndbesteuerungsG Bankeinlagen und Forderungswertpapiere nicht endbesteuert und erbschaftssteuerbefreit, wenn sie der Besicherung betrieblicher Kredite dienen, während demgegenüber die Endbesteuerung bei der ESt diese Einschränkung nicht mehr kennt (seit der Nov 1993/818). Abgesehen von den praktischen und verwaltungsmäßigen Umständen, die diese Differenzierung bei der Endbesteuerung zwischen der ErbSt und der ESt nach sich zieht, ist diese Einschränkung bei der ErbSt nur mehr historisch erklärbar: Diese Einschränkung bei der ErbSt (nicht aber mehr bei der ESt) geht zurück auf die Stammfassung der Endbesteuerungsregelungen, die ursprünglich nur außerbetriebliche Kapitalerträge, nicht aber betriebliche erfasste. Die Einschränkung bei der ErbSt machte seinerzeit (deshalb) Sinn, weil damit „Umgehungen“ (sowohl bei der ESt als) auch bei der ErbSt verhindert werden sollten. Da aber seit der Nov BGBl 818/1993 bei der ESt alle Kapitalerträge (betriebliche und außerbetriebliche) endbesteuert sind, ist diese Einschränkung (nur mehr) bei der ErbSt ein Systembruch, weil sie die ihr seinerzeit zugedachte (gesetzgeberische) Intention nicht mehr „begleitend“ zu erfüllen braucht bzw erfüllen kann.

 

*         Aus gesetzestechnischer Sicht regt die Kammer der Wirtschaftstreuhänder an, dass für sämtliche Neuregelungen im Verfassungsrang als Ergebnis des Österreich-Konvents ausdrücklich klargestellt werden sollte, ob sie entgegenstehenden älteren einfach‑gesetzlichen Bestimmungen derogieren oder diese „bloß“ verfassungswidrig machen, das heißt erst vom VfGH als verfassungswidrig aufgehoben werden müssen.

 

Begründung: Es wäre der Rechtsicherheit abträglich, wenn es vorerst einer gewissen Zeitspanne bedürfte, bis die VfGH-Judikatur diese rein „rechtstechnische“ Frage klärt.

 

*         Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder schlägt vor, die bereits für das VwGH-Verfahren bestehenden Möglichkeiten zur Vermeidung von Masseverfahren auf das Verfahren vor dem VfGH, allenfalls auch vor dem UFS, auszudehnen.

 

Hinweis: Jedenfalls in Bezug auf das Verfahren vor dem VfGH erscheint eine verfassungsgesetzliche Regelung erforderlich, um die Aspekte der Anlassfallwirkung in den Griff zu bekommen und um Nachteile für Normunterworfene zu vermeiden.

 

*         Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder schlägt vor, die Anlassfallwirkung (Ergreiferprämie) im VfGH-Verfahren neu zu regeln, und zwar nach dem Vorbild des EuGH-Verfahrens in Form einer „erga omnes-Wirkung ex tunc“ (außer der VfGH spricht „anderes“ aus).

 

*         Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder schlägt vor, allgemeinen Erlässen und Richtlinien „Verordnungsqualität“ zuzuerkennen, um damit eine rechtliche Verbindlichkeit (Bindungswirkung) innerhalb der Verwaltung und eine Überprüfbarkeit vor dem VfGH zu erreichen.

 

*         Im Hinblick auf die im Raum stehenden verfassungsrechtlichen Bedenken zu § 117 BAO und iZm dem vorstehenden Vorschlag schlägt die Kammer der Wirtschaftstreuhänder weiters vor, dem Grundsatz von Treu und Glauben (als generelles Verbot rückwirkender belastender Bestimmungen) in der Verfassung zu verankern und verfassungsrechtlich für den Bereich des Abgabenverfahrensrechts im Sinn der derzeitigen (hinsichtlich von Lücken zu schließenden) Regelung des § 117 BAO abzusichern. In diesem Zusammenhang sollte auch vorgesehen werden, das eine verbösernde Judikatur der Höchstgerichte und allenfalls des UFS auf zukünftig verwirklichte Sachverhalte beschränkt wird.

 

*         Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder schlägt vor, im Hinblick auf die gegenteilige Judikatur des VwGH verfassungsgesetzlich zu verhindern, dass der VwGH das Erfordernis zu einer Entscheidung durch einen verstärkten Senat unter Berufung auf den Umstand unterläuft, dass es sich „formell“ um ein neues Gesetz handle (wenn zB an die Stelle des EStG 1972 inhaltsgleich das EStG 1988 getreten ist).

 

*         Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder schlägt – wie schon in den Memoranden des Fachsenats für Steuerrecht zu den letzten Steuerreformen - vor, dass verfahrensrechtlich in Landes- und Gemeindeabgabensachen anstelle von neun Landesabgabenordnungen nur mehr die Bundesabgabenordnung (BAO) gelten soll (wie sonst in Landes- und Gemeindeverwaltungssachen nur das AVG gilt).

 

 

B. Empfehlungen der Kammer der Wirtschaftstreuhänder

 

*         Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder empfiehlt, die Landeskompetenzen in Abgabensachen (insbesondere das Steuererfindungsrecht der Länder) abzuschaffen bzw radikal zu beschneiden.

 

Hinweis: Wenn es zB in steuerlichen Bereichen Regelungen im Gemeinschaftsrecht gibt, ist eine Landeskompetenz glatter Anachronismus.

 

*         Im Gegenzug dazu wird eine Absicherung der – schon teilweise bestehenden – Mitwirkungsrechte der Länder und Gemeinden in der Nachfolgeregelung des § 3 Abs 1 F-VG 1948 vorgeschlagen.

 

Gesetzestechnischer Hinweis: Art 13 Abs 1 B-VG wäre zu streichen und das F-VG 1948 in das (neue?) B-VG aufzunehmen.

 

*         Aus Anlass des bereits jahrelang währenden Streits um die Rückzahlung der vom EuGH als gemeinschaftsrechtswidrig erkannten Getränkesteuer regt die Kammer der Wirtschaftstreuhänder an, eine Verfassungsbestimmung zu schaffen, der zufolge alles, was auf Grund von Rückzahlungssperrregelungen vom Abgabengläubiger an (verfassungs- oder gemeinschaftsrechtswidrigen) Abgaben lukriert wird, mit Zinsen an die staatliche Krankenvorsorge (oder an einen vergleichbaren Bereich) abgeführt werden muss.

 

Begründung: Solcherart würde die unzumutbare Belastung des Abgabenschuldners, der erfolgreich eine Rechtswidrigkeit geltend macht und letztlich – oft nach verfahrensrechtlichen Verzögerungen und vermeidbaren Aufwendungen – nichts oder nur wenig erhält, nicht unerheblich reduziert und vor allem die verpönte ungerechtfertigte Bereicherung – die dann beim Abgabengläubiger eintritt – umfassend unterbunden. Siehe Generalanwalt Geelhoed in seinen Schlussanträgen vom 3.7.2003 in der Rechtssache C-129/00 Rn 91: „Hiebei darf der Abgabengläubiger, dem das Problem zugeschrieben wird, nicht ‚unannehmbar’ bevorzugt werden, der sich seinerzeit ohne Zweifel unberechtigt bereichert hat, wenn er jahrelang ohne Rechtsgrundlage eine Abgabe erhoben hat“.

 

*         Die Kundmachung von Gesetzesaufhebungen des VfGH durch den Bundeskanzler im Bundesgesetzblatt sollte nach Ansicht der Kammer der Wirtschaftstreuhänder nicht isoliert erfolgen, sondern sollte bei solchen Gesetzen, welche die Novellen fortlaufend am Schluss in einzelnen Paragraphen (zB ASVG) oder in Absätzen (zB § 37 GebG) enthalten, zwingend in einer diesem System entsprechenden Art und Weise erfolgen, damit solcherart mit der Kundmachung die Kontinuität und die Gesetzessystematik gewahrt bleibt. Diese Empfehlung wird einfach-gesetzlich umzusetzen sein, sollte aber im Rahmen der Behandlung der jetzt in den Art 139 und 140 B-VG geregelten Materie nicht übersehen werden.