Ministerentscheidungen in eigener Sache

Rechtsvergleichende Studie des Wissenschaftlichen Dienstes der Parlamentsdirektion

 

1. Einleitung

 

Aufgrund eines Wunsches des Ausschusses 8 (Demokratische Kontrolle) des Österreich-Konvents ist an die EZPWD-Korrespondenten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie der Schweiz die Frage gerichtet worden, ob in der jeweiligen Rechtsordnung im Falle des Fungierens eines Regierungsmitgliedes als Verwaltungsbehörde letzter Instanz eine rechtliche Möglichkeit vorgesehen ist, dessen Entscheidungen in einer diese selbst betreffenden Angelegenheit zu kontrollieren oder eine andere Instanz abzutreten, und ob eine politische Praxis besteht, wie mit solchen Fällen verfahren wird.

 

Bisher liegen elf Antworten aus zehn Staaten vor. Im folgenden die vorliegenden Antworten ausgewertet, die in Summe als ein repräsentatives Sample angesehen werden können.

 

2. Überblick über die einzelnen Antworten

 

2.1 Deutschland

Sofern ein Bundesminister als „Spitze der Verwaltung“ tätig wird,  kann er Verwaltungsentscheidungen durch Ausübung seines Weisungsrechts beeinflussen bzw. selbst treffen. In Entscheidungen mit Außenwirkung ist immer der Rechtsweg eröffnet. Im Regelfall ist dies der Verwaltungsrechtsweg, der vom Entscheidungsadressaten beschritten werden kann. Sofern der Bundesminister als Regierungsmitglied tätig wird, sind seine Entscheidungen grundsätzlich nicht justiziabel, sondern unterliegen der politischen Verantwortung; dem Bundestag stehen die üblichen Kontrollinstrumente wie das Recht auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen zu, ein Misstrauensvotum ist jedoch nicht gegen einzelne Bundesminister, sondern nur gegen den Bundeskanzler möglich.

 

2.2 Estland

Die Minister überwachen die Tätigkeit der ihnen unterstellten Verwaltungsbehörden und können deren Entscheidungen aufheben. Ihrerseits unterliegen die Entscheidungen der Minister der Kontrolle durch die Regierung. Gegen Entscheidungen der Minister ist jedoch auch der Verwaltungsrechtsweg beschreitbar. Dem Parlament stehen für die politische Kontrolle Instrumente wie der Untersuchungsausschuss oder das Misstrauensvotum zur Verfügung.

 

2.3 Finnland

Zur Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen von Ministern kann durch das Parlament die rechtliche Ministerverantwortlichkeit geltend gemacht werden: Auf Vorschlag des Verfassungsausschusses kann mit einfacher Mehrheit der Gerichtshof für Amtsvergehen angerufen werden; dies ist bisher insgesamt viermal geschehen.

 

2.4 Italien

Das bereits in Kraft getretene, aber noch nicht wirksam gewordene Gesetz über Interessenkonflikte sieht vor, dass die Wettbewerbsbehörde, eine unabhängige Verwaltungsbehörde, für die Überprüfung von Interessenkonflikten der Regierungsmitglieder zuständig ist. Die Behörde kann von Regierungsmitgliedern kontrollierten Unternehmen Geldstrafen auferlegen, berichtet an das Parlament und ist verpflichtet, im Falle des Verdachts strafbarer Handlungen die Strafverfolgungsbehörden zu informieren. Dem Parlament steht die politische Kontrolle, beispielsweise durch Einsetzung von Untersuchungsausschüssen, zu.

 

2.5 Portugal

Inhabern politischer Ämter ist es untersagt, Entscheidungen in Angelegenheiten eigenen Interesses zu treffen. In diesem Zusammenhang wird im Parlament ein Interessenregister geführt, das öffentlich aufliegt. Im Falle einer zu entscheidenden Angelegenheit, in der ein eigenes Interesse berührt ist, muss sich der Amtsinhaber vertreten lassen, beispielsweise ein Minister durch einen Staatssekretär. Solche Vertretungen zur Vermeidung von Interessenkonflikten stellen eine wenn auch nicht häufige, so doch regelmäßige politische Praxis dar.

 

2.6 Schweden

Die Verwaltungsbehörden haben gegenüber der Regierung und ihren Mitgliedern eine weisungsunabhängige Stellung, sodass Regierungsmitgliedern kein Einfluss auf Einzelfallentscheidungen zukommt.

 

2.7 Schweiz

Gegen Verwaltungsentscheidungen eines Departements, d.h. eines Regierungsmitgliedes, ist grundsätzlich eine Beschwerde an das Bundesgericht möglich; allerdings kennt diese Verwaltungsgerichtsbeschwerde viele Ausnahmen. Durch Ausübung des parlamentarischen Untersuchungsrechts können politische Verantwortlichkeiten festgestellt und nötigenfalls strafrechtliche Verfahren eingeleitet werden. Die Geltendmachung der politischen Ministerverantwortlichkeit durch ein Misstrauensvotum ist nicht vorgesehen.

 

2.8 Slowakische Republik

Verwaltungsentscheidungen unterliegen grundsätzlich der rechtlichen Kontrolle durch die Gerichte, Entscheidungen der Minister der Kontrolle durch den Obersten Gerichtshof. Die Beschwerdebefugnis steht den durch die Verwaltungsentscheidung in ihren Rechten verletzten physischen und juristischen Personen zu.

 

2.9 Spanien

Regierungsmitglieder sind dazu verpflichtet, sich jeder Verwaltungsentscheidung in Angelegenheiten, in denen ihre Interessen berührt sind, zu enthalten und sich in solchen Fällen vertreten zu lassen. Alle Verwaltungsentscheidungen unterliegen der gerichtlichen Kontrolle, Beschwerden gegen Verwaltungsentscheidungen von Regierungsmitgliedern können vor der Verwaltungskammer des Nationalen Gerichtshofes bzw. der Verwaltungskammer des Obersten Gerichtshofes eingebracht werden. Der politischen Kontrolle stehen die üblichen parlamentarischen Instrumente, wie beispielsweise die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, zur Verfügung.

 

2.10 Vereinigtes Königreich

Verwaltungsentscheidungen von Ministern können gerichtlicher Überprüfung unterworfen werden, insbesondere wenn sie im Rahmen der königlichen Prärogative, also ohne spezifische gesetzliche Zuständigkeit, handeln. Die gerichtliche Überprüfung dient der Untersuchung des Verfahrens, nicht des Inhalts der Entscheidung. Für die politische Kontrolle stehen dem Parlament verschiedene Instrumente zur Verfügung, beispielsweise die ständig eingesetzten Select Committees und das Misstrauensvotum.

 


3. Zusammenfassung

 

Anlage 1 gibt eine systematische Auswertung der vorliegenden Antworten. Wie daraus ersichtlich ist, stellt sich in einem der zehn Staaten das Problem der Verwaltungsentscheidung von Regierungsmitgliedern in eigener Sache nicht, weil Regierungsmitglieder nicht als Oberste Verwaltungsorgane fungieren. In zwei Staaten unterliegen Regierungsmitglieder der Verpflichtung, sich jeder Verwaltungsentscheidung in eigener Sache zu enthalten und sich nötigenfalls vertreten zu lassen. In diesen beiden wie in sechs anderen Staaten ist sowohl eine gerichtliche Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen als auch deren politische Kontrolle durch das Parlament möglich. Die Geltendmachung der politischen Ministerverantwortlichkeit ist allerdings in einem Staat nur eingeschränkt möglich, nämlich nicht hinsichtlich einzelner Minister, in einem Staat nicht vorgesehen. In einem weiteren Staat steht das klassische Instrument der Geltendmachung der rechtlichen Ministerverantwortlichkeit durch das Parlament zur Verfügung.

 

In Anlage 2 sind die vorliegenden Antworten im vollen Wortlaut wiedergegeben.

 

Wien, 2004 11 17