KONZEPTION EINER FÖDERALISTISCHEN

GESAMTERNEUERUNG DER BUNDESVERFASSUNG

 

 

Auf Anregung des Vorarlberger Landeshauptmannes Dr. Martin Purtscher haben die drei Landeshauptmänner von Salzburg, Tirol und Vorarlberg dem Institut für Föderalismusforschung am 26.3.1991 den Auftrag erteilt, einen konsequent föderalistischen Entwurf einer neuen Bundesverfassung auszuarbeiten. Dieser Entwurf sollte dazu dienen, dass die westlichen Bundesländer mit einer klaren, wenn notwendig auch harten föderalistischen Verhandlungsposition in die Diskussion zur Strukturreform des Bundesstaates einen gemeinsamen Standpunkt einbringen können. Der vorliegende Entwurf wurde auch mit den führenden Legisten der betroffenen Ämter der Landesregierungen und dem Präsident des Salzburger Landtages, Univ.Prof. Dr. Helmut Schreiner, akkordiert. In einem Schreiben vom 13. Mai 1991, Zl. 0/9-1280/27-1991, bestätigte der damalige Landeshauptmann von Salzburg, Dr. Hans Katschthaler, dass der vorliegende Entwurf „eine sehr gute Grundlage für die Verwaltungsposition der westlichen Bundesländer bietet“.

 

 

A.                ALLGEMEINDE GESICHTSPUNKTE

 

Im folgenden sollen einige systematische Gesichtspunkte für eine Gesamterneuerung der Bundesverfassung im föderalistischen Sinne entwickelt werden. Man müsste in einem zweiten Schritt abklären, in welche Richtung Vertiefungen erwünscht und notwendig sind.

Ausgehend vom gegenwärtigen System der Bundesverfassung sollten folgende Änderungen durchgeführt werden:

 

Erstes Hauptstück

 

In diesem Abschnitt sollten die bestehenden Artikel systematisch im föderalistischen Sinne „durchforstet“ und um folgende Bestimmungen ergänzt werden, die in der geltenden Bundesverfassung an anderer Stelle geregelt sind oder überhaupt fehlen.

 

o                   Eine bundesstaatliche Homogenitätsklausel, die das vierte Hauptstück der geltenden Bundesverfassung ersetzen soll. Diese Bestimmung soll die Länder auf das demokratische und rechtsstaatliche Prinzip und auf gewisse oberste Staatszielbestimmungen der Bundesverfassung (zB Sozialstaat, Umweltschutz, Neutralität oder ähnliche) verpflichten.

 

o                   Ein bundesstaatliches Berücksichtigungsprinzip, das insbesondere auch eine Verpflichtung zur gegenseitigen Information über Gesetzgebungsvorhaben enthalten sollte. Damit wäre das Verfahren nach Art 98 B-VG überflüssig.

 

o                   Eine Bestimmung über die Gemeindeautonomie, welche den Gemeinden einen bundesverfassungsrechtlichen Anspruch auf Selbstverwaltung garantiert, der durch Landes(verfassungs)gesetz näher zu konkretisieren wäre. Damit könnten die Artikel 115 – 120 B-VG entfallen.

 

o                   Bestimmungen über die politischen Parteien – in diese Bestimmungen sollten die Parteien nicht nur zu einer demokratischen, sondern auch zu einer föderalistischen Binnenstruktur verpflichtet werden.

 

Zweites Hauptstück

 

Dieses Hauptstück sollte eine neukonzipierte Kompetenzverteilung enthalten, welche auch die jetzt außerhalb des B-VG stehenden Kompetenzbestimmungen, zB auf dem Gebiet der Finanzverfassung, des Minderheitenschulrechts uä enthalten sollte. Außerdem sollte in diesem Hauptstück der Grundsatz der selbständigen Vollziehung von Bundesgesetzen durch die Länder als Ersatz der derzeitigen mittelbaren Bundesverwaltung und Auftragsverwaltung enthalten sein. Das BVG 1925 über die Einrichtung der Ämter der Landesregierungen und die entsprechenden Bestimmungen des ÜG 1920 wären gleichzeitig aufzuheben. Die Grundlinien der neuen Kompetenzverteilung werden im Abschnitt B zu dieser Gesamtkonzeption gesondert dargestellt.

 

Drittes Hauptstück

 

Dieses Hauptstück soll die Gesetzgebung des Bundes im föderalistischen Sinne neu ordnen. In einem eigenen Artikel müsste klargestellt werden, dass die Gesetzgebung des Bundes durch die beiden gleichgeordneten Kammern des Nationalrates und des Bundesrates und durch das Bundesvolk ausgeübt wird.

 

A)

Die Bestimmungen über den Nationalrat sollten im großen und ganzen wie bisher belassen bleiben.

 

B)

Die Bestimmungen über den Bundesrat müssten dagegen völlig neu konzipiert werden. Grundlinien für diese Neukonzeption sind folgende:

o                   Gleichmäßige Vertretung aller Länder.

 

o                   Bindung der Vertreter der Länder an Aufträge des Landtages und Verantwortung gegenüber dem Landtag.

 

o                   Zustimmungsbedürftigkeit aller Bundesverfassungsgesetze sowie aller Bundesgesetze, die von den Ländern auszuführen sind oder ihre finanzielle Stellung berühren.

 

o                   Minderheitenrechte für ein Land, wenn ausschließlich dessen Angelegenheiten betroffen sind; Minderheitenrechte von mindestens drei Ländern in allen anderen Angelegenheiten.

 

o                   Mitwirkungsrechte von Vertretern des Landes (allenfalls des Bundesrates) an der Rechtssetzung internationaler Organisationen.

 

C)

Die Bestimmungen über die Bundesversammlung wären föderalistisch zu „durchforsten“ und insbesondere eine Gleichrangigkeit von Nationalrat und Bundesrat zu gewährleisten.

 

D)

Der „Weg der Bundesgesetzgebung“ wäre als eigenes Hauptstück aufzulösen und die einzelnen Bestimmungen auf die betreffenden Organe (Nationalrat, Bundesrat) aufzuteilen. Statt dessen sollten in diesem Abschnitt die Mitwirkungsrechte des Bundesvolkes an der Gesetzgebung und Vollziehung des Bundes systematisch zusammengefasst und neu geregelt werden.

 

 

E)

Der Abschnitt über die „Mitwirkung des Nationalrates und des Bundesrates an der Vollziehung des Bundes“ wäre als solcher aufzulösen und die betreffenden Bestimmungen bei den Abschnitten „Nationalrat“ und „Bundesrat“ im Sinne einer Aufwertung des Bundesrates neu zu konzipieren.

 

F)

Der Abschnitt über die „Stellung der Mitglieder des Nationalrates und des Bundesrates“ wäre als solcher aufzulösen und die dort geregelten Bestimmungen bei den betreffenden Organen einzuordnen. Statt dessen sollte hier ein neuer Abschnitt eingefügt werden, der Bestimmungen über die Vermittlung zwischen Nationalrat und Bundesrat bei Konflikten enthält.

 

Viertes Hauptstück

 

A)                Verwaltung

 

1.                  Bundespräsident: Hier bieten sich zwei Alternativen an: entweder Abschaffung dieses Organs, das eine überholte Einheit des Staates verkörpert und die Identifikation der „Republik“ mit dem Bund fördert. Statt dessen könnte die Aufgaben des Bundespräsidenten ein „Präsidium“ übernehmen, das aus dem Präsidenten und Vizepräsidenten des Nationalrates und Bundesrates besteht. Ringt man sich nicht zu einer so radikalen Lösung durch, so wären die Funktionen des Bundespräsidenten streng auf die eines Staatsoberhauptes des Bundes zu beschränken und insbesondere der Alleinvertretungsanspruch im Völkerrecht zugunsten der Landeshauptmänner zu modifizieren.

 

2.                  Bundesregierung: Hier sollte eine verfassungsrechtliche Begrenzung der Zahl der Bundesminister aufgenommen werden, welche die geplante Reduktion der Bundes-Zentralverwaltung ganz klar zum Ausdruck bringt. Zu denken wäre etwa an höchstens sieben Minister.

 

3.                  Sicherheitsbehörden des Bundes: Hier wäre der Grundsatz der Landesvollziehung von territorialen Sicherheitsaufgaben und der Landesverfügung über die Wachkörper des Bundes in Landesangelegenheiten festzulegen. Der Aufgabenbereich der Sicherheitsbehörden des Bundes sollte auf gesamtstaatliches Sicherheitsaufgaben beschränkt werden.

 

4.                  Bundesheer: Hier sollte die Ermächtigung der Länder zu Einsatzverfügung im inneren Einsatz in die Bundesverfassung aufgenommen werden und die Bestimmung über „selbständiges militärisches Einschreiten“ aufgehoben werden. Auch die Ermächtigung des Bundesgesetzgebers in Artikel 81 B-VG wäre zu beseitigen bzw. durch eine unmittelbare verfassungsrechtliche Regelung zu ersetzen.

 

5.                  Schulbehörden des Bundes: Dieser Abschnitt wäre aufzuheben. Die Funktionen der Landesschulräte sollten die Länder übernehmen. Allenfalls könnten einige Grundsatzbestimmungen über die Einheitlichkeit der Schulorganisation hier in die Bundesverfassung aufgenommen werden.

 

B)                Gerichtsbarkeit

Das Monopol des Bundes in der Gerichtsbarkeit wäre zu beseitigen. Die Gerichtsbarkeit in

den Ländern sollte grundsätzlich Landessache werden; die Bundesgerichte sollten auf die

obersten Gerichte beschränkt werden. Die bestehende richterlichen Garantien sollten in der Bundesverfassung nur für Bundesgerichte geregelt werden. Im übrigen wären sie durch die Landesverfassung festzulegen.

 

Fünftes Hauptstück

 

Das bestehende vierte Hauptstück des B-VG sollte entfallen; das (neue) fünfte Hauptstück über die Rechnungs- und Gebarungskontrolle sollte prinzipiell auf den Bund beschränkt werden und – analog zur Volksanwaltschaft – durch die Landesverfassung auf die Länder anwendbar gemacht werden können.

 

Sechstes Hauptstück

 

Der Bundesverwaltungsgerichtshof sollte grundsätzlich auf die Bundesverwaltung beschränkt und auf die Landesverwaltung – wie die Volksanwaltschaft – durch Landesverfassungsgesetz anwendbar gemacht werden können. Eine eigene Landesverwaltungsgerichtsbarkeit für Landesangelegenheiten und als Unterinstanz für Bundesangelegenheiten wäre vorzusehen. Darüber hinaus wäre ein verstärktes Mitwirkungsrecht der Länder an der Organisation der Verfassungsgerichtsbarkeit sicherzustellen und die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichtshofes grundsätzlich auf die Prüfung der Bundesverfassungsmäßigkeit beschränkt werden. Eine Ausdehnung der Prüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichtshofes durch Landesverfassungsrecht sollte auch hier vorgesehen werden. Die Alternative eigener Landesverfassungsgerichte müsste offen gehalten werden.

 

Siebentes Hauptstück

 

Die Bestimmungen über die Volksanwaltschaft sollten wie bisher erhalten bleiben, da sie schon im großen und ganzen dem hier vorgestellten Föderalismuskonzept entsprechen.

Wie sich aus den vorstehenden Grundlinien und dem Entwurf einer erneuerten Kompetenzverteilung (Anhang) ergibt, geht diese Neukonzeption vom Modell eines differenzierten Bundesstaates aus: Länder, die nicht so viel Autonomie (Kompetenzen) beanspruchen wollen, sollten durch Landesverfassungsrecht den Bund oder bestimmte Bundesorgane für zuständig erklären können.

 

 

B.                 NEUKONZEPTION DER KOMPETENZVERTEILUNG

 

1.                  Systemgrundlagen

 

Das Grundsystem der „neuen Kompetenzverteilung“ sollte streng nach regionalen Gesichtspunkten ausgerichtet werden. Darüber hinaus sollte eine stärkere Flexibilität in der Zuordnung von Aufgaben durch die Möglichkeit von Delegationen und Kompetenzübernahmen gewährleistet sein. Die Kompetenzverteilung orientiert sich an den Ergebnissen der „Strukturreformkommission“ und bezieht insbesondere auch die Privatwirtschafts(Föderungs)verwaltung in die Zuständigkeitsverteilung ein.

Ausgangspunkt der neuen Kompetenzverteilung ist eine Zweiteilung der Zuständigkeitsbestimmungen der Länder in eine nach dem Subsidiaritätsprinzip formulierte Generalklausel der Länder und eine demonstrative Aufzählung von „Grundaufgaben“ mit erhöhtem Bestandsschutz („Kernbereichsgarantie“).

Die Bundesaufgaben sollten gleichfalls durch eine Generalklausel und eine demonstrative Aufzählung festgelegt werden. Wo der regionale Charakter der Kompetenz bei den einzelnen Landesaufgaben besonders hervorgehoben wird, gibt es neben der regionalen Landeskompetenz auch eine dementsprechende überregionale Kompetenz des Bundes (zB regionaler Umweltschutz oder Raumordnung des Landesgebietes einerseits, bundeseinheitliche Grenzwerte für Umweltschutz, Bundesraumordnung andererseits).

Das Zusammenspiel zwischen „nationalen“ und „regionalen“ Kompetenzen auf demselben Sachgebiet hätte dann so zu erfolgen, dass die bundesweiten Vorschriften grundsätzlich nur Ziel- oder Rahmenbestimmungen enthalten dürfen (Richtlinienkompetenz), die regional zu konkretisieren und dadurch in Kraft zu setzen sind. Es können aber auch andere Kooperationsmodelle vereinbart werden oder auch freiwillige Kompetenzübergänge auf Initiative des Bundes oder der Länder nach den im folgenden dargestellten Verfahren stattfinden. Die hier vorgeschlagene neue Systematik der Kompetenzverteilung ist deswegen „EG-konform“, weil sie der grundsätzlichen territorialen Gliederung in drei Ebenen, welche der europäischen Integration zugrunde liegt, besser entspricht als die gegenwärtige, ineinander verzahnte und ausschließlich sachbezogene Kompetenzverteilung.

 

 

2.         Formulierungsvorschlag für die Bundes- und Landeszuständigkeiten und die erleichterten Kompetenzübergänge zwischen den Gebietskörperschaften in Verbindung mit organisatorischen Änderungen des Weges der Bundesgesetzgebung

 

 

ARTIKEL I

Die Hoheitsrechte der Länder

 

(1)         Die Länder sind in den Grenzen ihres Landesgebietes für alle Aufgaben der Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit zuständig, die nicht nach dem folgenden Absatz dem Bund übertragen werden.

 

(2)         Zu den Grundaufgaben der Länder im selbständigen Wirkungsbereich gehören:

 

1.            Landesverfassung; Landesverwaltung; Landesgerichtsbarkeit; Dienstrecht der Landesbediensteten; Verfahren vor Verwaltungsbehörden und Gerichten des Landes; Landesbürgerschaft; Rechte und Pflichten der Landesbürger, einschließlich aller öffentlichen Aufgaben, Verantwortungen und Ehrenrechte.

2.            Organisation, Dienstrecht und Zuständigkeit der Gemeinden und Gemeindeverbände, aller sonstigen Körperschaften und Verwaltungsträger des Landes;

3.            Raumordnung des Landesgebieten; Bodenordnung; Bodenreform; Grundverkehr;

4.            Baurecht für alle baulichen Anlagen im Lande; betriebliches Anlagenrecht; Denkmal- und Ortsbildschutz;

5.            Regionaler Umweltschutz; Landschafts- und Naturschutz; Wildbach- und Lawinenverbauung; ökologische Gesamtprüfung aller die Natur beeinträchtigenden Vorhaben im Landesbereich;

6.            Land- und Forstwirtschaft; Wasserrecht; Jagd und Fischerei; Tier- und Pflanzenschutz;

7.            Regionale Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsförderung, insbesondere auf den Gebieten der Industrie, des Handels und Gewerbes; Arbeitsmarktpolitik; wirtschaftliche Krisenvorsorge im Land; Berufsvertretungen;

8.            Regionale Sozialordnung und Sozialpolitik, insbesondere: Gesundheitswesen; Krankenanstalten; Sozialversicherung; Sozialhilfe; Sozialsprengel; Schutz und Förderung der Arbeitnehmer, Jugendlichen, Mütter und Behinderten; Familienpolitik;

9.            Regionale Verkehrsordnung; Mitwirkung an überregionalen Verkehrssystemen im Landesinteresse;

10.        Regionale Bodenschätze; Wasserkraft; Elektrizitätswesen; Energieversorgung;

11.        Regionales Sicherheitswesen, insbesondere: Sicherheitspolizei, Meldewesen, Fremdenpolizei, Waffen-, Munitions- und Sprengmittelwesen sowie Schießwesen, Pressewesen, Vereins- und Versammlungsangelegenheiten; Verfügung über alle Wachkörper im Lande; polizeilicher Grenzschutz; Mitwirkung am Einwanderungs- und Flüchtlingswesen; Katastrophenschutz; zivile Landesverteidigung; Zivildienst;

12.        Mitwirkung an der militärischen Landesverteidigung, insbesondere: Mitwirkung an der Ergänzung und Unterbringung des Heeres und an der Heeresorganisation; Koordination der umfassenden Landesverteidigung im Lande; Verfügung über die im Lande stationierten Einheiten des Bundesheeres für Assistenzen im Bereich der öffentlichen Sicherheit, einschließlich des Schutzes der verfassungsmäßigen Einrichtungen des Landes und im Rahmen des Katastrophenschutzes; Mitwirkung an militärischen Sicherungseinsätzen im Landesinteresse;

13.        Regionale Kulturhoheit, insbesondere: Pflichtschulwesen; Mitwirkung am höheren Schulwesen und an den Landesuniversitäten; Erziehungswesen; regionales Fernsehen; regionaler Rundfunk; Mitwirkung an überregionalen Rundfunk-, Fernseh- und Telekommunikationssystemen; Theater, Kino, Veranstaltungswesen; Kunstförderung; Volkskultur; Erwachsenenbildung einschließlich Fernschulwesen und berufliche Fortbildung; Archive, Bibliotheken, Sammlungen und Museen; Angelegenheiten des Kultus; Kulturabkommen und sonstige kulturelle Beziehungen mit ausländischen Regionen oder Staaten;

14.        Regionales Zivil- und Strafrecht zur Erfüllung der Aufgaben des selbständigen Wirkungsbereiches des Landes; Förderungen, Vergabe öffentlicher Aufträge und Erfüllung von Verwaltungsaufgaben als Träger von Privatrechten im gesamten selbständigen Wirkungsbereich des Landes;

15.        Landesabgaben; Gemeindeabgaben; Verfügung über den Ertrag sämtlicher öffentlichen Abgaben im Lande; Mitwirkung am Steuerrecht und an der Finanzverwaltung, soweit es den Ertrag der Abgabe im Lande berührt; Mitwirkungen am Finanzausgleich mit dem Bund und den übrigen Ländern; Finanzausgleich zwischen Land, Gemeinden und Gemeindeverbänden; Mitwirkung an Gemeinschaftsaufgaben und anderen überregionalen Finanzierungssystemen.

 

(3)               Die Länder sind ferner für alle Bundesaufgaben zuständig

 

1.      soweit der Bund von einer eigenen Besorgung der Aufgabe absieht;

2.      soweit der Bund das Land mit dessen Zustimmung zur Besorgung von Bundesaufgaben ermächtigt;

3.      wenn der Bund in der Wahrnehmung seiner Aufgaben säumig ist oder durch höhere Gewalt an der ordnungsgemäßen Erfüllung einer Bundesaufgabe verhindert ist.

 

(4)               Einzelne Aufgaben des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder können durch Landesverfassungsgesetz teilweise oder zur Gänze an de Bund übertragen werden, wenn dieser einer Übertragung zustimmt. Eine solche Übertragung ist rückgängig zu machen, wenn der Grund für die Übertragung weggefallen ist. Die Grundsätze des Absatzes 1 und des Artikels V Absatz 1 sowie der wesentlichen Bestand der Grundaufgaben nach Absatz 2 dieses Artikels dürfen durch eine Übertragung von Landesaufgaben an de Bund nicht berührt werden.

 

(5)               In de Ländern geht alle Gerichtsbarkeit vom Land aus. Ein Rechtszug von den Landesgerichten an zentrale Bundesgerichte in den Aufgaben der Länder kann nur mit Zustimmung des Landes eingerichtet werden.

 

 

ARTIKEL II

Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes

Und an der Rechtsetzung internationaler Organisationen

 

(1)               Die Länder wirken in der Gesetzgebung des Bundes gleichberechtigt durch ihre Vertreter im Bundesrat mit. Es sind im Verhältnis zur Zahl der Landesbürger mindestens sechs und höchstens zwölf Vertreter jedes Landes vorzusehen.

(2)               Die Vertreter des Landes im Bundesrat werde nach dem Verhältniswahlsystem vom Landtag gewählt. Sie sind an die Aufträge des Landtages gebunden und diesem für ihre Amtsführung verantwortlich.

(3)               Alle Bundesverfassungsgesetze sowie Bundesgesetze, die von den Ländern auszuführen sind oder ihre finanzielle Stellung berühren, bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

(4)               Ein Beschluß des Bundesrates kommt nicht zustande, wenn in Angelegenheiten, die ausschließlich ein Land betreffen, alle Vertreter dieses Landes geschlossen dagegen stimmen oder in allen anderen Fällen die Vertreter von mindestens drei Ländern dagegen stimmen.

(5)               Werden internationale Organisationen zur unmittelbar verbindlichen Rechtsetzung in Landesaufgaben ermächtigt, so hat der Bund wirksame Mitbestimmungsrechte von Vertretern der Länder zu gewährleisten.

 

 

ARTIKEL III

Die Verwaltung der Länder und die Vollziehung der Bundesgesetze

und der Rechtsvorschriften internationaler Organisationen

 

(1)               Die Verwaltung der Länder ist zur Erfüllung der Aufgaben des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder und der von den Ländern besorgten Bundesaufgaben (Artikel I Absatz 3) nach Maßgabe der Landesgesetze berufen, soweit nicht Gerichte mit der Vollziehung betraut werden.

(2)               Die Bundesgesetze und verbindlichen Rechtsvorschriften internationaler Organisationen werden – vorbehaltlich der Fälle des folgenden Absatzes – durch die Verwaltung der Länder im selbständigen Wirkungsbereich vollzogen. Eine mittelbare Bundesverwaltung oder Auftragsverwaltung des Bundes findet in den Ländern nicht statt.

(3)               Bundesgesetze, die eigene Bundesorgane im Land einrichten oder Bundesorgane zu Verwaltungsakten ermächtigen, die im Lande unmittelbar wirksam werden sollen (insbesondere unmittelbare Ministerialzuständigkeiten), bedürfen der Zustimmung des betreffenden Landes. Die derzeit bestehenden Zuständigkeiten von Bundesministerien und anderen Bundesverwaltungsbehörden in den Aufgaben der Länder gehen auf die Landesverwaltung über, soweit nicht Ausnahmen durch Landesverfassungsgesetz gemäß Artikel I Absatz 4 festgelegt werden.

(4)               Bundesvermögen und öffentliches Gut im Aufgabenbereich der Länder (Artikel I Absätze 1 und 3) gehen in das Eigentum der Länder über.

 

ARTIKEL IV

Die Teilhabe der Länder an der äußeren Gewalt

 

(1)               Die Länder führen ihre auswärtigen Beziehungen im Rahmen der Außenpolitik des Bundesstaates Österreich grundsätzlich selbständig, soweit ihre Hoheitsrechte gemäß Artikel I reichen. Sie wahren dabei die grundlegenden Richtlinien der Außenpolitik sowie die völkerrechtlichen Verpflichtungen des Bundes; dem Bund kommt insofern ein Aufsichtsrecht gegenüber den Ländern zu. Über Streitigkeiten aus diesem Aufsichtsverhältnis entscheidet der Verfassungsgerichtshof in einem besonderen Verfahren.

 

(2)               Die Länder schließen unter den Bedingungen des Absatzes 1 völkerrechtliche Staatsverträge im Rahmen ihrer Hoheitsrechte mit ausländischen Völkerrechts-subjekten ab, wirken an internationalen Organisationen mit und vertreten ihre Interessen im Ausland und bei internationalen Organisationen selbständig oder in Gemeinschaft mit anderen Ländern Österreichs. Die Staatsverträge der Länder sind nach den Vorschriften der Landesverfassung vom Landtag zu genehmigen und vom Landeshauptmann abzuschließen.

 

(3)               Die Länder wirken an der Führung der Außenpolitik des Bundes, an der Vorbereitung und dem Abschluß von Staatsverträgen des Bundes und an der Ausübung der Mitgliedschaftsrechte Österreichs bei internationalen Organisationen selbständig oder gemeinsam mit anderen Ländern mit, um ihre Hoheitsrechte gemäß Artikel I zu wahren.

 

(4)               Staatsverträge und Rechtsvorschriften internationaler Organisationen werden von den Ländern im Rahmen ihrer Hoheitsrechte selbständig durchgeführt. Die Grundsätze des Absatzes 1 gelten dafür sinngemäß.

 

ARTIKEL V

Gesetzgebungskompetenzen des Bundes

 

(1)               Dem Bund sind durch Bundesverfassungsgesetz gemäß Artikel II oder durch Landesverfassungsgesetz gemäß Artikel I Absatz 4 jene Aufgaben zu übertragen, die im ausschließlich oder überwiegend gesamtstaatlichen Interesse liegen und deren Besorgung die Kräfte eines Landes übersteigen.

 

(2)               Zu den Grundaufgaben des Bundes gehören:

 

1.      Bundesverfassung, Wahlen zum Nationalrat, Volksabstimmungen, Volksbegehren, Volksbefragungen auf Bundesebene, Bundesverwaltungsbehörden und oberste Bundesgerichte, Bundesrechnungshof.

2.      Nationale Außenpolitik und Vertretung des Bundesstaates nach außen; völkerrechtliche Staatsverträge in Bundesangelegenheiten; Bundesgrenzen; wirtschaftliche Beziehungen mit dem Ausland und mit internationalen Organisationen auf gesamtstaatlicher Ebene.

3.      Passrecht; Ein- und Auswanderungsrecht; Überwachung der Bundesgrenzen; Abschiebung, Ausweisung, Asylrecht.

4.      Bundesfinanzen; Bundesabgaben; Mitwirkung am Finanzausgleich mit den Ländern; Bundesfinanzverwaltung.

5.      Geld-, Kredit-, Börse- und Bankrecht; Maß-, Gewicht-, Normen- und Punzierungsrecht.

6.      Zivilrecht; Handels- und Gesellschaftsrecht; Arbeitsrecht; Strafrecht; Strafvollzug; Angelegenheiten der Rechtsanwälte und Notare; Enteignung in Bundesangelegenheiten.

7.      Gesamtstaatliche Belange der öffentlichen Sicherheit; Bundesgendarmerie; Bundespolizei; Zollwache; gesamtstaatliche Vorschriften auf den Gebieten Datenschutz, Melderecht, Personenstand, Fremdenpolizei, Waffen-, Munitions- und Sprengmittelrecht; Zivildienst; internationale Zusammenarbeit auf sicherheitspolizeilichem Gebiet; Terroristenbekämpfung.

8.      Gesamtstaatliche Vorschriften auf den Gebieten Gewerberecht, Industrierecht, Wirtschaftsrecht, insbesondere Wettbewerbsrecht, Marken-, Muster- und Patentrecht;

9.      Nationale Verkehrssysteme; Bundesraumordnung; Überregionales Verkehrsrecht; insbesondere gesamtstaatliche Vorschriften auf den Gebieten: Eisenbahn-, Luftfahrt- und Kraftfahrrecht, Straßenpolizei, Schiffahrtsrecht; Post- und Fernmelderecht; nationale Rundfunk- und Fernsehgesellschaft.

10.  Nationale Energieversorgung, insbesondere: Lastverteilung; Energieleitungs- und Verbundsysteme; internationaler Energieaustausch und Energieverbund.

11.  Arbeitsrecht; Vertragsversicherungsrecht; nationale Rahmenvorschriften auf den Gebieten des Sozialversicherungs-, Sozialfürsorge- und Gesundheitsrechts.

12.  Überregionaler Umweltschutz, insbesondere: Emissionsgrenzwerte, Umweltalarm, gefährliche Abfälle; Lebensmittel- und Ernährungsrecht; Veterinärrecht.

13.  Militärische Landesverteidigung; Einsätze des Bundesheeres auf Ersuchen internationaler Organisationen; Mitwirkung an der Umfassenden Landesverteidigung im Rahmen der Bundeskompetenzen; Neutralitätsvorsorge; Nationale Katastrophenbekämpfung.

14.  Nationale Kulturhoheit, insbesondere: Bundestheater, Bundesmuseen, Bundesbibliotheken und –sammlungen, Lehrpläne und Studienrecht für höhere Schulen, Akademien und Universitäten; Bundesstatistik und Volkszählung im Bundesgebiet; kulturelle Beziehungen mit dem Ausland auf gesamtstaatlicher Ebene.

15.  Förderungen in Bundesangelegenheiten, Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes, Privatrechtsfähigkeit im Rahmen der Bundeszuständigkeiten.

 

3.                  Finanzielle Konsequenzen der föderalistischen Neukonzeption der Kompetenzverteilung im Sinne der obigen Vorschläge.

 

(1)               Finanzieller Mehrbedarf aus den neuen Aufgaben der Länder entsteht durch:

a)      Aufgabenerfüllung im selbständigen Wirkungsbereich nach Maßgabe des Artikels I,

b)      Beseitigung der Institute der Auftragsverwaltung und der mittelbaren Bundesverwaltung,

c)      Beseitigung der Finanzzuweisungen insbesondere für die Lehrerbesoldung und Wohnbauförderung.

 

(2)               Grundsätze für die Finanzierung der Aufgaben der Länder

a)      Als Grundsatz hat zu gelten, dass das örtliche Aufkommen von Abgaben der Verfügung der Länder untersteht.

b)      Dort, wo das System der gemeinschaftlichen Bundesabgaben aufrecht erhalten bleibt (zB Umsatzsteuer), sind Mindestanteilssätze für den Bund durch gemeinsame verfassungsrechtliche Regelungen festzuschreiben.

c)      Mindestanteilsätze der Gemeinden sind landesverfassungsgesetzlich im Einvernehmen mit den Gemeinden zu regeln.

d)      In geeigneten Fällen können die Länder Landeszuschläge auf Bundesabgaben erheben.

e)      Steuergesetzliche Änderungen während der Finanzausgleichsperiode zulasten der Länder und der Gemeinden sind abzugelten (Änderung der Schutzklausel des § 5 FAG).

f)        Das Einspruchsrecht des Bundes in allen finanziellen Angelegenheiten der Ländern entfällt.

g)      Die Länder sind zu einem bundesstaatlichen Finanzausgleich zwischen finanzschwächeren und finanzstärkeren Ländern grundsätzlich bereit. Die Mindestanteilssätze des Bundes bei den gemeinschaftlichen Bundesabgaben sind so festzulegen, dass dieser die eigenen Aufgaben gemäß seinen Kompetenzen erfüllen und den bundesstaatlichen Finanzausgleich bedienen kann.

 

(3)               Finanzielle Konsequenzen im Rahmen des Finanzausgleichs

a)      Die bisherigen Kostenersätze des Bundes im Rahmen der Auftragsverwaltung bzw. der mittelbaren Bundesverwaltung sind in die allgemeine Finanzmasse der Länder einzubauen.

b)      Das gleiche gilt von der Lehrerbesoldung für die Pflichtschullehrer; die entsprechenden Mittel sind in die allgemeine Finanzausgleichsmasse einzubauen.

c)      Die Finanzierung der neu hinzugekommenen Kompetenzen (nach Artikel I) muß wegen ihres quantitativen Gewichtes aus mehreren Quellen erfolgen:

 

o       Aus Schlüsselveränderungen bei den gemeinschaftlichen Bundesabgaben, insbesondere bei der Umsatzsteuer und Lohnsteuer, durch die sichergestellt wird, dass die veränderte Kompetenzverteilung finanziert werden kann. Die Einkommensteuer soll in Hinkunft zu 96% nach dem örtlichen Aufkommen den Ländern zugewiesen werden, die daraus den Finanzausgleich mit den Gemeinden zu bedienen haben. Die Körperschaftsteuer soll in eine gemeinschaftliche Bundesabgabe umgewandelt und nach Prozentanteilen und nach dem Betriebsstättenprinzip verteilt werden.

o       Aus Zuschlagsabgaben: Die Länder haben das Recht, auf die Lohnsteuer Landeszuschläge zu erheben; dabei ist auf den tatsächlichen Arbeitsort und nicht auf die Besoldungsstelle abzustellen.

o       Aus eigenen Steuern: Die Länder haben das Recht, eine Energieabgabe, Umweltschutzabgaben und eine (wegekostengerechte) Transitabgabe zu erheben. Diese Abgaben sind im Rahmen des Steuerfindungsrechtes zulässig. Darüber hinaus sind die Vermögensteuer und die KFZ-Steuer in ausschließliche Landesabgaben umzuwandeln.

 

(4)               Die genauen finanziellen Auswirkungen der Kompetenzübertragungen an die Länder wären im einzelnen erst zu berechnen.

 

 

 

 

 

 

 

Univ.Prof. Dr. Peter PERNTHALER                                                    15. April 1991