Verfassungsgerichtshof 15. 10. 2004, G 36/04: Zivildienstverwaltung – staatliche Kernaufgabe; Auszug aus den Entscheidungsgründen

 

[...]

 

III.

 

1. In der Sache hegte der Verfassungsgerichtshof gegen § 54a Abs. 1 bis 7 Zivildienstgesetz zunächst das Bedenken, dass durch die Ausgliederung bestimmter Aufgaben der Zivildienstverwaltung (insbesondere des Abschnitts III) nicht ausgliederbare Kernaufgaben der staatlichen Verwaltung zur Durchführung an ein Unternehmen übertragen wurden.

 

        1.1. In seinem Beschluss vom 11. März 2004 ging der Gerichtshof zunächst davon aus, dass - bei Beurteilung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Ausgliederung von Aufgaben - eine enge Verknüpfung von Aufgaben der Vollziehung des Zivildienstgesetzes (bzw. Ersatzdienstleistungen) mit Angelegenheiten der militärischen Landesverteidigung (bzw. militärischen Dienstleistungen) besteht; wörtlich wurde dazu ausgeführt:

 

        "(...) Die Verpflichtung zur Leistung des Zivildienstes setzt – bei gegebener (Verfassungs-) Rechtslage - die Wehrpflicht des männlichen österreichischen Staatsbürgers notwendigerweise voraus.

 

        Es scheint daher vorläufig der Schluss nahe zu liegen, dass zentrale Aufgaben der Vollziehung des Zivildienstgesetzes aus dem Blickwinkel der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Ausgliederung von Aufgaben nicht anders zu beurteilen wären als Angelegenheiten der militärischen Landesverteidigung selbst; vgl. in diesem Sinne auch VfSlg. 13.905/1994:

 

        (...) Die enge Verknüpfung von militärischen Dienstleistungen mit den - im Falle der Verweigerung der Erfüllung der 'klassischen' Wehrpflicht zu leistenden - Ersatzdienstleistungen zeigt sich auch darin, dass in Art 4 Abs 3 litb EMRK für beide Dienstleistungen gleichermaßen festgelegt ist, dass sie keine verbotene Zwangs- oder Pflichtarbeit im Sinne dieses Artikels darstellen. Dass die Verpflichtung zur Leistung des Ersatzdienstes auch vor dem Hintergrund der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zwangsweise durchgesetzt werden kann - wie die EKMR in der Entscheidung Johansen (vgl. Appl. 10.600/83, DR 44, 155) ausdrücklich festgestellt hat - macht die Vergleichbarkeit mit der Wehrpflicht auch unter dem Blickwinkel zulässiger Grundrechtseingriffe deutlich."

 

        1.2. Was die Übertragung bestimmter Aufgaben der Zivildienstverwaltung zur Durchführung an ein Unternehmen betrifft, hegte der Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 11. März 2004 Bedenken betreffend deren Zugehörigkeit zu den nicht ausgliederbaren Kernaufgaben der staatlichen Verwaltung:

 

        "Der Umstand, dass es sich - wie dargestellt - bei der Leistung des Zivildienstes um eine Ausnahme vom Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit iSd. Art 4 Abs 3 lit b EMRK handelt, scheint auch ein Indiz dafür zu sein, dass zentrale Aufgaben der Zivildienstverwaltung, welche die Verpflichtungen des einzelnen Zivildieners zur Dienstleistung umsetzen, aktualisieren und administrieren, als staatliche Kernaufgaben zu beurteilen sein könnten.

 

        (...) Durch die Befugnis, diese Aufgaben zu übertragen, scheint aber bewirkt worden zu sein, dass wesentliche Steuerungsinstrumente der Zivildienstverwaltung - nämlich nahezu alle hoheitlichen

Elemente, welche die gesetzmäßige Abwicklung der Zivildienstleistung voraussetzen - nicht mehr durch den Staat selbst erfolgen.

 

        Vor diesem Hintergrund ist der Gerichtshof vorläufig der Auffassung, dass durch die Ausgliederung bestimmter - zuvor näher dargestellter - Aufgaben der Zivildienstverwaltung (insbesondere des Abschnitts III) nicht ausgliederbare Kernaufgaben der staatlichen Verwaltung zur Durchführung an ein Unternehmen übertragen wurden

 

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IV. B.

 

1.1. Die Bundesregierung tritt dem vorläufigen Bedenken des Gerichtshofes, dass es sich bei den von der Ausgliederung betroffenen Aufgaben der Zivildienstverwaltung um Kernaufgaben des Staates handeln könnte, die aus dem Blickwinkel der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit ihrer Ausgliederung nicht anders zu beurteilen wären als Angelegenheiten der militärischen Landesverteidigung selbst, vorerst mit folgenden Argumenten entgegen:

 

        Der Zivildienst sei schon kompetenzrechtlich eine andere Materie als Angelegenheiten der militärischen Landesverteidigung; hinzu käme, dass der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss die begrifflichen Unterschiede, die zwischen "Militärwesen", "militärischer Landesverteidigung", "militärischen Angelegenheiten" und "umfassender Landesverteidigung" bestehen, nicht berücksichtigt hätte. Allein schon deshalb gingen seine Annahmen mangels jedweder Vergleichbarkeit von vornherein ins Leere.

 

        Sodann vertritt die Bundesregierung die Ansicht, dass auch aus der in Art 4 Abs 3 lit b EMRK geregelten Ausnahme vom Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit nicht der Schluss gezogen werden könne, "dass diese [Dienstpflicht, die an Stelle einer Dienstleistung militärischen Charakters tritt] auch eine Dienstleistung militärischen Charakters ist".

 

        1.2. Dem ist Folgendes zu entgegnen:

 

        Dem Verfassungsgerichtshof sind die bestehenden kompetenzrechtlichen und materiellen Unterschiede der Angelegenheiten der militärischen Landesverteidigung im Verhältnis zum Zivildienstwesen und der begrifflichen Zugehörigkeit des Zivildienstes (bloß) zur umfassenden - nicht hingegen zur militärischen - Landesverteidigung, bekannt. Ungeachtet dessen ist jedoch dem besonderen wechselseitigen Verhältnis zwischen Zivildienst und Militärdienst bei Beurteilung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Ausgliederung von Aufgaben der Zivildienstverwaltung in ausreichender Weise Rechnung zu tragen.

 

        Voranzustellen ist, dass gemäß Art 9a Abs 3 B-VG jeder (tauglich befundene) männliche österreichische Staatsbürger wehrpflichtig ist und im Falle der Verweigerung der Erfüllung der Wehrpflicht aus Gewissensgründen anstelle dessen zur Leistung eines Ersatzdienstes (Zivildienstes) verpflichtet ist. Die Zivildienstpflicht setzt also zunächst die Wehrpflicht des österreichischen männlichen Staatsbürgers voraus:

 

        Die Verfassungsbestimmung des § 2 ZDG normiert ausdrücklich das Recht jedes tauglich befundenen Wehrpflichtigen, eine Zivildiensterklärung abzugeben. Dies ist bereits anlässlich der Stellung gemäß § 18 Wehrgesetz 2001 möglich. Im Ausmaß der Abgabe von Zivildiensterklärungen und der folgenden Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß § 2 Abs2 ZDG iVm. 5 Abs 2 ZDG (dh, dass ein bestimmter Wehrpflichtiger seiner Verpflichtung - anstelle der Ableistung eines Wehrdienstes - durch die Ableistung eines Wehrersatzdienstes in Gestalt des Zivildienstes nachkommen wird) verringert sich die Anzahl der Wehrdienstleistenden. In beiden Fällen (Wehrdienst und Zivildienst) handelt es sich um die gemäß Art 9a Abs 3  B-VG verpflichtende Ableistung eines staatlichen Dienstes, der - ungeachtet des Umstandes, dass die Tätigkeit des Zivildienstleistenden keine militärische ist - auf der Wehrpflicht beruht. Dass das Militärwesen, insbesondere die Feststellung der Wehrpflicht, jedoch zu den (ausgliederungsfesten) Kernaufgaben zählt - und dies gilt, ausgehend von der verfassungsrechtlichen Regelung, dass es sich beim Zivildienst um einen Wehrersatzdienst handelt, ebenso für die Feststellung des Eintritts der Zivildienstpflicht - hat der Verfassungsgerichtshof stets betont (vgl. VfSlg. 14.473/1996).

 

        1.3. Nun vertritt die Bundesregierung jedoch mit den in Abschnitt II.1.1. ihrer Äußerung dargestellten Argumenten die Auffassung, dass die von der Ermächtigung in § 54a Abs 1 ZDG erfassten Aufgaben der Zivildienstverwaltung, das sind die in den Abschnitten III, V und VI des ZDG genannten, nicht mehr als ausgliederungsfest zu beurteilen sind.

 

        1.4. Damit ist sie nicht im Recht:

 

        1.4.1. Vorerst ist zu berücksichtigen, wie unter Punkt 1.2. dargestellt, dass dem Umstand, dass es sich beim Zivildienst per se um einen verpflichtenden staatlichen Dienst handelt, maßgebliche Bedeutung zukommt.

 

        1.4.2. Damit geht einher, dass die (sanktionsbewehrte) Verpflichtung zur Leistung des Zivildienstes für die Zivildienstpflichtigen - spätestens mit der bescheidmäßigen Zuweisung

an eine Einrichtung - mit erheblichen Eingriffen in ihre verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte verbunden ist. Der Zivildienst ist - für alle tauglich befundenen männlichen Staatsbürger, die eine Zivildiensterklärung abgeben – als verpflichtender Dienst für den Staat konzipiert, für dessen Dauer die privaten Dispositionsmöglichkeiten des Zivildienstleistenden insbesondere im Hinblick auf den Aufenthaltsort und die Möglichkeit einer (selbst gewählten) Erwerbsbetätigung (Berufsausübung)

außergewöhnlich starken Einschränkungen unterworfen sind.

 

 

[...]

 

1.6. Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass der Gesetzgeber dadurch, dass § 54a Abs 1 ZDG den Bundesminister für Inneres ermächtigt, ein Unternehmen mit "... Aufgaben der Zivildienstverwaltung gemäß den Abschnitten III, V und VI..." zu betrauen, die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen überschritten hat, da er die Beauftragung eines Unternehmens nicht nur mit Aufgaben, die die nähere Ausgestaltung der Ableistung des Zivildienstes wie zB Aufgaben im Zusammenhang mit dem Reisekostenersatz oder der Auszahlung von Bezügen betreffen, sondern auch mit den oben unter Punkt 1.4.4. genannten Aufgaben außerhalb der staatlichen Verwaltungsorganisation ermöglicht hat, was verfassungsrechtlich unzulässig ist (vgl. etwa VfSlg. 3685/1960 und 16.400/2001).

 

        1.7. Schon aus diesem Grund war die in § 54a Abs 1 erster Satz ZDG normierte Ermächtigung des Bundesministers für Inneres, ein geeignetes Unternehmen mit der Durchführung von Aufgaben der Zivildienstverwaltung zu beauftragen, sowie die mit dieser Regelung in untrennbarem Zusammenhang stehenden - weil diese präzisierenden - Bestimmungen des § 54a Abs1 zweiter Satz, Abs 3 erster Satz und Abs 4 leg. cit., als verfassungswidrig aufzuheben.