Stellungnahme* der

Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien

im Rahmen der Anhörung vor dem

Österreich-Konvent

am 15. Dezember 2003

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Aufgrund der Zeitbeschränkung werden wir uns in unserer Stellungnahme auf spezifisch lesbisch-schwule Anliegen konzentrieren, obwohl wir als Teil der Zivilgesellschaft, als der wir uns verstehen, auch viele andere gesellschaftliche, für diese Verfassungsreform relevante Anliegen unterstützen.

 

Aus lesbisch-schwuler bzw. Transgender-Sicht ist der wichtigste Punkt für eine neue Verfassung die explizite Aufnahme der Merkmale „sexuelle Orientierung“ und „Geschlechtsidentität“ in den bestehenden Artikel 7. Wir halten die jetzige Aufzählung – Geburt, Geschlecht, Stand, Klasse und Bekenntnis – für überholt und nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Wichtige, heutzutage brisante Kategorien, wie Alter, Hautfarbe oder Ethnizität fehlen hingegen. Eine Neufassung sollte den Schutz vor Rassismus garantieren, wobei wir betonen wollen, dass der Begriff „Rasse“ problematisch ist.

 

Die Auflistung der Merkmale sollte sich an der EU-Charta der Grundrechte orientie­ren, aber über diese hinausgehen. Wir schlagen als Mindestauflistung vor: Geschlecht, „Rasse“, Hautfarbe, ethnische Herkunft, soziale Herkunft, genetische Merkmale, Sprache, Religion, Weltanschauung, politische oder sonstige Anschau­ung, Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe/nationalen Minderheit, Vermögen, Behinde­rung, Alter, Familienstand sowie eben sexuelle Orientierung und Geschlechts­identität.

 

„Sexuelle Orientierung“ bezeichnet – weit über das Sexualverhalten hinausgehend – zwischenmenschliche Zuneigung, Verantwortung und Formen des menschlichen Zusammenlebens, wobei die gleichgeschlechtliche oder bisexuelle Orientierung um nichts weniger natürlich und gesund ist wie die verschiedengeschlechtliche. PartnerInnenschaften, die auf homo- oder bisexueller Orientierung basieren, tragen das gleiche Potential in sich, für die Gesellschaft als Ganzes von hohem Wert und Nutzen zu sein, wie alle Formen des Zusammenlebens zwischen Mann und Frau. Dieses Potential kann der Gesellschaft allerdings nur unter den Bedingungen der Nichtdiskriminierung und wahrhaftiger Gleichberechtigung der Geschlechter und aller geschlechtlichen Orientierungen zugute kommen.

 

Mit der Aufnahme von sexueller Orientierung in den Gleichheits-Artikel würde Öster­reich keineswegs Neuland betreten, sondern bloß internationale Entwicklungen nachvollziehen. Bereits 1994 hat der UNO-Ausschuss für Menschenrechte in der Entscheidung im Fall Toonen gegen Australien festgestellt, dass sexuelle Orientie­rung im Begriff „Geschlecht“ im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Artikel 26) implizit enthalten ist. Dasselbe trifft auf die Europäische Menschenrechtskonvention zu, einerseits aufgrund gängiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, andererseits aufgrund des Zusatzprotokolls 12, das von Österreich noch nicht ratifiziert worden ist. Einige Staaten haben „sexuelle Orientierung“ bereits in ihre Verfassungen ausdrücklich als Nichtdiskriminierungsgrund aufgenommen, etwa Südafrika, Ekuador, Fidschi oder auch die Schweiz, wo dies durch die Bezeichnung „Lebensform“ erfolgte.

 

Da sexuelle Orientierung nur Hetero-, Bi- und Homosexualität definiert, werden Transgender-Personen nicht erfasst. Deshalb ist es notwendig, „Geschlechtsidenti­tät“ als eigene Kategorie explizit anzuführen.

 

Ein solches Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität muss selbstverständlich auch für alle von der Verfassung garantierten Rechte gelten, etwa für das Recht, eine Ehe zu schließen bzw. eine Familie zu gründen. In diesem Zusammenhang treten wir dafür ein, keine besonderen Rechte vom Familienstand der Ehe abhängig zu machen. Meist geschieht dies unter Hinweis auf die Erziehung von Kindern in der Ehe. Dieses Argument trifft heute aber immer weniger zu. Viele Ehen bleiben kinderlos – eine Privilegierung gegenüber anderen Formen des Zusammenlebens ist in diesem Fall daher überhaupt nicht angebracht. Zweitens werden viele Kinder außerhalb von ehelichen Gemeinschaften großgezogen. Diese Familienformen mit Kindern würden daher gegenüber – auch kinderlosen – Ehen benachteiligt und diskriminiert.

 

Wir plädieren weiters, einen Passus in die Verfassung aufzunehmen, der dem Artikel 1 der EU-Charta entspricht, in dem es heißt: „Die Würde des Menschen ist unantast­bar. Sie ist zu achten und zu schützen.“

 

Daraus sind auch entsprechende Konsequenzen bei der Abwägung von Grund­rechten abzuleiten, wenn diese in Konflikt zueinander stehen. Etwa beim Recht auf freie Religionsausübung und Überzeugungsfreiheit. In einer modernen Gesellschaft muss auch die Religionsfreiheit dort ihre Grenzen haben, wo unter Berufung auf religiöse Lehren oder unter Hinweis auf Jahrtausende alte Glaubensdoktrinen, die man nicht aufzugeben bereit ist, pure Verhetzung gegen bestimmte Gruppen passiert und Menschen in ihrer Würde massiv verletzt werden. Als Beispiel dafür seien die lesben- und schwulendiskriminierenden Vatikan-Dokumente erwähnt.

 

* Anm.: In der Version, wie sie schließlich abgeben wurde.

 

Ergänzung in der schriftlichen Fassung

(dieser Teil wurde aus Zeitgründen nicht mehr vorgetragen):

 

Abschließend noch einige Punkte allgemeiner Natur, deren Berücksichtigung in einer neuen Verfassung uns sehr wichtig ist:

 

Die Verfassung sollte in einer Sprache formuliert sein, die das Vorhandensein zweier Geschlechter widerspiegelt. Rein „geschlechtsneutrale“ Formulierungen sollen die ausdrückliche separate Erwähnung der weiblichen Form nicht vollständig ersetzen, wenn es sich um Personen oder Funktionen handelt.

 

In der Verfassung sollte weiters festgeschrieben werden, dass Österreich ein Sozialstaat ist, der soziale Grundrechte, wie das Recht auf freie Bildung, soziale Sicherheit, auf Wohnen, Arbeit, ein Grundeinkommen, Gesundheitsversorgung etc. garantiert und sicherstellt.