Ökumenische Expertengruppe

 

Soziale Grundrechte

 

Entwurf

 

 

Soziale Rechte haben ihren Ausgangspunkt und ihre Begründung in der Pflicht des Gemeinwesens, die Menschenwürde zu achten und zu schützen. Es ist aus christlichem Verständnis eine unverzichtbare Aufgabe des Staates, bei der Gewährleistung von Grund- und Menschenrechten für eine Balance von Individualität und Solidarität und für einen gerechten und wirksamen Ausgleich zwischen Freiheitsrechten und wesentlichen Lebensbedürfnissen der Einzelnen zu sorgen. Dies erfordert eine gleichrangige Verbürgung liberaler und sozialer Rechte auf Verfassungsebene.

 

Eine solche Ausgewogenheit des Grundrechtsschutzes entspricht auch dem europäischen Standard, wie er in den Verfassungen der meisten Mitgliedstaaten der EU sowie im Grundrechtskatalog der EU-Verfassung, die voraussichtlich in naher Zukunft Rechtsverbindlichkeit erlangen wird, zum Ausdruck kommt.

 

Die christlichen Kirchen sind daher der Überzeugung, dass in die neue Verfassung ein Katalog sozialer Grundrechte aufgenommen werden soll, der dem Einzelnen subjektive Rechte im Verfassungsrang vermittelt.

 

Diese Rechte können im konkreten Fall einen Anspruch auf bestimmte soziale Mindestleistungen, ein Recht auf Gleichbehandlung bei der Gewährung staatlicher Leistungen oder aber auf Gewährleistung des grundrechtlich geschützten Rechts im Rahmen der formulierten Zielvorgaben durch den Staat, insbesondere durch den Gesetzgeber, vermitteln. Eine bloße Gewährleistungspflicht des Staates ohne entsprechende subjektive Rechtsposition des Einzelnen ist nach Auffassung der christlichen Kirchen allerdings für jene Rechte angezeigt, welche typischerweise nicht individualisierbar sind, wie z. B. ein nicht weiter spezifiziertes Recht auf „Wohnung“ oder auf „Arbeit“. Im Einzelnen werden diese Zuordnungsfragen letztlich von der Rechtsprechung zu lösen sein.

 

Ganz allgemein verkörpern ferner auch soziale Grundrechte objektive Grundsatznormen, die das Staatshandeln in allen seinen Erscheinungsformen binden. Diese Dimension sozialer Grundrechte bietet die Grundlage für eine von den Kirchen in ihrem Sozialwort angeregten Sozialverträglichkeitsprüfung.

 

Die Gewährleistung sozialer Grundrechte erfolgt unter Beachtung der Grundsätze der Eigenverantwortung, der Nachhaltigkeit und der sozialen Gerechtigkeit. Maßgeblich sind ferner das Sachlichkeitsgebot sowie die Eingriffsschranken allenfalls berührter Freiheitsrechte. Die erforderlichen Abwägungsvorgänge eröffnen dem Gesetzgeber relativ weite Gestaltungsspielräume.

 

Soziale Grundrechte sind, soferne sie als subjektive öffentliche Rechte verbürgt werden, nach der gegenwärtig geltenden Rechtslage entweder mittels Bescheidbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder in Angelegenheiten, deren Grundlage privatrechtliche Rechtsverhältnisse bilden, mit Klage vor den ordentlichen Gerichten durchsetzbar. Die Frage, ob dies einen ausreichenden und effizienten Rechtsschutz sicherstellt oder ob zusätzliche Vorsorgen im Verfahrensrecht, bei der Antragslegitimation sowie in den Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs erforderlich sind, ist zu prüfen. Eine Befassung des Ausschusses 9 (Rechtsschutz, Gerichtsbarkeit) mit dieser Problematik ist angezeigt.

 

Die im Folgenden angeführten Rechte orientieren sich, was ihren Gegenstand betrifft, im Wesentlichen an jenen, die in der EU-Grundrechtscharta und dieser folgend im EU-Verfassungsentwurf enthalten sind, gehen aber auch darüber hinaus, etwa durch Aufnahme von Minderheitenrechten. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung der einzelnen Grundrechte wurden eigenständige, auf die Funktion sozialer Grundrechte in einer Staatsverfassung abgestellte Lösungen auch unter Berücksichtigung von bestehendem österreichischem Verfassungsrecht gesucht. Ferner wurde eine knappe Diktion angestrebt, wie sie für Grundrechte charakteristisch ist.

 

Eine allgemeine, offene und zielorientierte Formulierung sozialer Grundrechte, die auf Zukunft hin angelegt ist und neue sachadäquate Lösungen für künftige soziale Erfordernisse zulässt, nicht blockiert, ist ein wesentliches legistisches Erfordernis. Nichts wäre dem Anliegen sozialstaatlicher Garantien in der Verfassung schädlicher als der Versuch, über entsprechend detaillierte Vorgaben die bestehende Sozialordnung und ihre Institutionen gleichsam zu „versteinern“ oder konkrete gesetzgeberische Maßnahmen vorzuschreiben.

 

Die meisten der im Vorschlag enthaltenen sozialen Grundrechte sind auch im UN-Sozialpakt, vor allem aber in der Europäischen Sozialcharta (ESC) sowie in einzelne Schutzbereiche betreffenden internationalen Verträgen verankert, welche Österreich völkerrechtlich binden. Die in diesem Abkommen enthaltenen Regelungen zählen jedenfalls zu den Grundlagen der Auslegung der in der österreichischen Verfassung zu verankernden respektiven sozialen Grundrechte. Zusätzliche inhaltliche Ausgestaltungen einzelner sozialer Grundrechte stützen sich ferner auf die revidierte Fassung der ESC aus 1996 (RevESC), die Österreich unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert hat.

 

Weitere Vorgaben finden sich im EGV, in der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer vom 9. 12. 1989 (Gemeinschaftscharta) sowie in einer Reihe von Richtlinien, insbesondere zur Gleichbehandlung von Frau und Mann.

 

Der nachfolgend vorgelegte Katalog fasst alle Verbürgungen zusammen, die als soziale Grundrechte betrachtet werden können.

 


Text der sozialen Grundrechte

 

Art 1

Jeder Mensch hat das Recht auf Schutz seiner Gesundheit.

 

Art 2

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf soziale Sicherheit.

(2) Wer in Not gerät und nicht für sich sorgen kann, hat Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf jene Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind.

(3) Die öffentliche Hand arbeitet bei der Erfüllung von sozialpolitischen Aufgaben mit den nicht gewinnorientierten Trägern der freien Wohlfahrt zusammen.

 

Art 3

Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit unter gerechten und angemessenen Bedingungen.

 

Art 4

Jeder Mensch hat das Recht auf Wohnung und auf angemessene Unterbringung im Fall der Obdachlosigkeit.

 

Art 5 *)

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung mit dem Ziel der vollen Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und der Stärkung der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten.

Dazu zählen insbesondere

a)      der Zugang zur beruflichen Aus- und Weiterbildung;

b)      der unentgeltliche Pflichtschulbesuch;

c)      der Zugang zum Religionsunterricht in den Schulen;

d)      der Zugang zur Erwachsenenbildung und zum lebenslangen Lernen.

 

(2) Bund, Länder und Gemeinden haben bei Ausübung der von ihnen auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicher zu stellen.

 

(3) Jeder Staatsbürger ist berechtigt, Privatschulen zu errichten und zu betreiben. Die Unterrichtserteilung ist an den Nachweis der gesetzlichen Befähigung gebunden.

Der häusliche Unterricht unterliegt dieser Beschränkung nicht.

 

(4) Die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei

 

Art 6

Jeder Mensch hat das Recht auf Zugang zu öffentlichen Leistungen der Daseinsvorsorge zu fairen Bedingungen und in angemessener Qualität.

 

 

 

 

*) In Ausschuss 4 bereits behandelt und verabschiedet.

Art 7

(1) Ehe und Familie werden anerkannt und geschützt.

 

(2) Pflege und Erziehung ihrer Kinder ist Recht und Aufgabe der Eltern. Bund, Länder und Gemeinden haben bei der Ausübung der von ihnen auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicher zu stellen.

 

(3) Eltern und ihre Kinder haben ein Recht auf Schutz und Fürsorge sowie auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Aus der Eigenschaft als Mutter und Vater dürfen dabei keine Nachteile erwachsen.

 

Art 8

(1) Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres haben mindestens Anspruch auf alle Rechte, die in der UN-Konvention über die Rechte des Kindes vom 20. 11. 1989 festgelegt sind.

(2) Bei allen Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen, die Kinder oder Jugendliche betreffen, hat deren Wohl Vorrang vor allen anderen Zielsetzungen.

 

Art 9

(1) Frauen und Männer sind gleichberechtigt.

(2) Sie haben das Recht auf Gleichstellung in allen Lebensbereichen.

Der Gleichberechtigung von Männern und Frauen stehen Vergünstigungen zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten nicht entgegen.

 

Art 10

Alte Menschen haben das Recht auf ein würdiges und unabhängiges Leben, auf Teilnahme am Arbeitsleben sowie am sozialen, politischen und kulturellen Leben und auf Hilfe im Fall der Pflegebedürftigkeit.

 

Art 11

(1) Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(2) Behinderte haben ein Recht auf Zugang zu und auf Gleichstellung in allen Bereichen des täglichen Lebens.

 

Art 12

(1) Alle Menschen haben das Recht auf Wahrung und Pflege ihrer Sprache und kulturellen Identität.

(2) Das Bekenntnis zu einer Volksgruppe ist frei.

(3) Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung der Volksgruppen werden geachtet, gefördert und geschützt.

 

(4) Art 66 Abs 3 und 4 StV v. St. Germain, StGBl Nr. 303/1920 und Art 7 des StV v. Wien, BGBl 152/1955 sind Bestandteil der Bundesverfassung.

 

Art 13

Verfolgte haben ein Recht auf Asyl.


Erläuterungen

 

Art 1

Jeder Mensch hat das Recht auf Schutz seiner Gesundheit.

 

Erläuterungen:

Mit der Präambel der WHO-Satzung geht Art 1 von einem umfassenden Begriff der Gesundheit aus, als einem Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheiten und Gebrechen. Unter dem Schutz der Gesundheit sind sowohl kurative als auch präventive Maßnahmen einschließlich der Gewährleistung einer gesunden Umwelt zu verstehen.

 

Das Recht auf Gesundheitsschutz umfasst daher die Pflicht des Staates, für ein allgemein und diskriminierungsfrei zugängliches Gesundheitswesen zu sorgen, das Gesundheitsvorsorge und ärztliche Versorgung bietet sowie gesundheitsschädliche Umweltbedingungen zu bekämpfen.

 

Gesundheitsbezogene Schutzpflichten des Staates können auch einem Recht auf körperliche Unversehrtheit entnommen werden, wenn ein solches in die Verfassung aufgenommen wird (vgl. Art 3 GRCh).

 

Art 1 entspricht im Wesentlichen Art 35 Grundrechtscharta (GRCh) und stützt sich ferner auch auf Art 11 ESC und Art 152 EGV.

 

 

Art 2

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf soziale Sicherheit.

(2) Wer in Not gerät und nicht für sich sorgen kann, hat Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf jene Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind.

(3) Die öffentliche Hand arbeitet bei der Erfüllung von sozialpolitischen Aufgaben mit den nicht gewinnorientierten Trägern der freien Wohlfahrt zusammen.

 

Erläuterungen:

Abs 1 vermittelt das Recht auf Gewährleistung eines vom Staat verantworteten Systems der Absicherung gegen typische Lebensrisken wie insbesondere Krankheit, Mutterschaft, Pflegebedürftigkeit, Unfall, geminderte Erwerbsfähigkeit, Arbeitslosigkeit und Alter, sowie das Recht, an diesem System ohne Diskriminierung teilzuhaben.

 

Hiezu Art 34 Abs 1 GRCh, ferner wird auf Art 12 ESC sowie auf Nr. 10 der Gemeinschaftscharta hingewiesen.

 

Abs 2 gewährt einen Anspruch auf ausreichende Hilfe in Notsituationen und vermittelt ein Recht auf Gewährleistung entsprechender Sozialhilfeeinrichtungen.

 

Er entspricht inhaltlich Art 34 Abs 3 GRCh, ferner wird auf Art 13 ESC verwiesen.

 

Abs 3 anerkennt den sozialen Auftrag der nicht gewinnorientierten Träger der freien Wohlfahrt und verpflichtet den Staat zur Zusammenarbeit mit diesen. Auf die von den christlichen Kirchen vorgeschlagene Aufnahme einer „Dialogklausel“ in den Ausschussentwurf zur Religionsfreiheit wird hingewiesen.

 

Art 3

Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit unter gerechten und angemessenen Bedingungen.

 

Erläuterungen:

Art 3 entspricht in seiner Formulierung im Wesentlichen Art 31 Abs 1 GRCh. Er fasst unter dem Ausdruck „gerechte und angemessene [Arbeits-]bedingungen“ jene Anforderungen an das Arbeitsrecht zusammen, die sich beispielhaft aus Art 31 Abs 2 und Art 32 GRCh, aus Art 1 Z 3 und 4 sowie aus Art 2 – 4 und Art 7 ESC, Art 26 RevESC sowie aus den einschlägigen Bestimmungen der Gemeinschaftscharta ergeben und begründet ein Recht auf die Gewährleistung entsprechender Arbeitsbedingungen durch den Gesetzgeber. Dieser ist ferner verpflichtet, allfälligen neuen Gefährdungslagen im Bereich der Arbeitsbeziehungen zu begegnen.

 

Zu dem in Art 31 Abs 2 GRCh verbürgten Recht auf wöchentliche Ruhezeit besteht die Forderung nach Garantie der Sonntagsruhe in der Verfassung (siehe hiezu auch Art 2 Z 5 ESC).

 

Ein Recht auf Arbeit im Sinn eines subjektiven Rechts auf eine aktive Beschäftigungspolitik des Staats vermittelt Art 3 nicht, wohl aber ist ihm eine allgemeine Pflicht des Staats zu einer solchen Politik zu entnehmen.

 

 

Art 4

Jeder Mensch hat das Recht auf Wohnung und auf angemessene Unterbringung im Fall der Obdachlosigkeit.

 

Erläuterungen:

Art 4 verschafft dem Einzelnen einen Anspruch auf angemessene Unterbringung im Fall der Obdachlosigkeit und ein Recht auf Gewährleistung dieses Anspruchs durch staatliche Maßnahmen.

Siehe hiezu auch Art 34 Abs 3 GRCh.

 

Ein Recht auf Wohnen verpflichtet den Staat zu einer geeigneten Wohnungspolitik, die aber vom Einzelnen rechtlich nicht einforderbar ist. Hiezu auch Art 31 RevESC.

 

 

Art 5

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung mit dem Ziel der vollen Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und der Stärkung der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten.

Dazu zählen insbesondere

e)      der Zugang zur beruflichen Aus- und Weiterbildung;

f)        der unentgeltliche Pflichtschulbesuch;

g)      der Zugang zum Religionsunterricht in den Schulen;

h)      der Zugang zur Erwachsenenbildung und zum lebenslangen Lernen.

 

(2) Bund, Länder und Gemeinden haben bei Ausübung der von ihnen auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicher zu stellen.

 

(3) Jeder Staatsbürger ist berechtigt, Privatschulen zu errichten und zu betreiben. Die Unterrichtserteilung ist an den Nachweis der gesetzlichen Befähigung gebunden.

Der häusliche Unterricht unterliegt dieser Beschränkung nicht.

 

(4) Die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei

 

Erläuterungen:

Ein Antrag auf Verbürgung der in Art 5 angeführten Rechte wurde bereits im Ausschuss 4 behandelt und verabschiedet. Auf die dort gegebenen Erläuterungen wird verwiesen.

 

 

Art 6

Jeder Mensch hat das Recht auf Zugang zu öffentlichen Leistungen der Daseinsvorsorge zu fairen Bedingungen und in angemessener Qualität.

 

Erläuterungen:

Art 36 GRCh gewährt ein Recht auf Zugang zu „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“. Art 6 greift diese Verbürgung auf und verleiht einen Anspruch auf gleichen Zugang zu diesen Einrichtungen sowie ein Recht auf Gewährleistung solcher Leistungen zu fairen Bedingungen und in angemessener Qualität. Die öffentliche Hand kann diese Leistungen entweder selbst erbringen oder an Private übertragen. Diesfalls ist sie verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Sicherstellung der Anforderungen gem. Art 6 zu treffen.

 

 

Art 7

(1) Ehe und Familie werden anerkannt und geschützt.

 

(2) Pflege und Erziehung ihrer Kinder ist Recht und Aufgabe der Eltern. Bund, Länder und Gemeinden haben bei der Ausübung der von ihnen auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicher zu stellen.

 

(3) Eltern und ihre Kinder haben ein Recht auf Schutz und Fürsorge sowie auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Aus der Eigenschaft als Mutter und Vater dürfen dabei keine Nachteile erwachsen.

 

Erläuterungen:

Art 7 legt soziale Grundrechte der Familie fest. Er berücksichtigt dabei Art 33 GRCh, die Art 8 und 16 ESC sowie Art 8 und 12 EMRK und Art 2 1. ZPEMRK. Abs 1 hebt die besondere Bedeutung von Ehe und Familie ausdrücklich hervor und statuiert eine Schutzpflicht des Staates.

 

Die Begriffe von Ehe und Familie sind den Art 12 und 8 EMRK und der dazu ergangenen Judikatur zu entnehmen: Ehe bedeutet gem. Art 12 EMRK die auf Dauer angelegte rechtsförmliche Verbindung von Mann und Frau, der Familienbegriff des Art 8 ist hingegen weit und umfasst auch die Beziehungen nicht verheirateter Eltern, Adoptiv- oder Pflegeeltern sowie von Alleinerziehenden zu ihren Kindern.

 

Die besondere Schutzpflicht des Staates gegenüber diesen Lebensformen vermittelt dem Betroffenen ein Recht auf entsprechende Berücksichtigung ihrer Lebenssituation. Dies bedeutet unter anderem die Pflicht des Gesetzgebers zu einer sachlichen Differenzierung zwischen Eltern und Kinderlosen mit dem Ziel einer Angleichung der Situation dieser beiden Bevölkerungsgruppen. Als Förderungsmaßnahme nennt Art 16 ESC beispielsweise Sozial- und Familienleistungen, steuerliche Maßnahmen, Förderung des Baus familiengerechter Wohnungen, Hilfe für junge Eheleute, verweist aber ausdrücklich auf andere Mittel jeglicher Art.

 

Abs 3 hebt insbesondere das Recht der Eltern aber auch der betroffenen Kinder auf Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf hervor. Damit sind nicht nur die traditionellen Maßnahmen des Mutterschutzes und des Elternurlaubs im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes angesprochen, sondern auch beispielsweise die Gestaltung von Arbeitsverhältnissen, Hilfen bezüglich der Kinderbetreuung oder steuerliche Maßnahmen.

Ausdrücklich ist ferner ein Diskriminierungsverbot für Eltern festgelegt. Vgl. hiezu auch Art 27 RevESC.

 

Abs 2 garantiert den Vorrang der Eltern bei der Pflege und Erziehung der Kinder. Notwendige Eingriffe des Staates in dieses Recht im Interesse des Kindeswohls können sich auf Art 8 dieses Vorschlages stützen (verwiesen wird auch auf Art 9 der Kinderrechtskonvention).

 

Gem. Abs 2 Satz 2 haben Eltern das Recht zu verlangen, dass der Staat dabei und allgemein bei der Wahrnehmung von Aufgaben der Erziehung und des Unterrichts ihr Recht auf Erziehung und Unterricht entsprechend ihrer religiösen und weltanschaulichen Überzeugung achtet. Diese Garantie enthält schon jetzt Art 2 1. ZPEMRK. Sie hat bereits Eingang in den Ausschussentwurf betreffend das Recht auf Bildung gefunden.

 

 

Art 8

(1) Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres haben mindestens Anspruch auf alle Rechte, die in der UN-Konvention über die Rechte des Kindes vom 20. 11. 1989 festgelegt sind.

(2) Bei allen Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen, die Kinder oder Jugendliche betreffen, hat deren Wohl Vorrang vor allen anderen Zielsetzungen.

 

Erläuterungen:

Art 8 legt Rechte von Kindern und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr auf Schutz und Fürsorge fest, wie sie vor allem aus der Kinderrechtskonvention ergeben und verpflichten den Staat dazu, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

 

Abs 2 hebt dabei ausdrücklich den Vorrang des Kindeswohl vor allen anderen Zielsetzungen hervor (Art 3 Abs 1 Kinderrechtskonvention). Art 8 berücksichtigt Art 24 GRCh.

 

 

Art 9

(1) Frauen und Männer sind gleichberechtigt.

(2) Sie haben das Recht auf Gleichstellung in allen Lebensbereichen.

Der Gleichberechtigung von Männern und Frauen stehen Vergünstigungen zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten nicht entgegen.

 

 

Erläuterungen:

Art 9 betont ausdrücklich die schon im allgemeinen Gleichheitsgrundsatz verbürgte Gleichberechtigung von Frauen und Männern und verleiht diesen ein Recht auf Gleichstellung in allen Lebensbereichen. Damit geht er über Art 7 Abs 2 B-VG hinaus, welche deren tatsächliche Gleichstellung lediglich als Staatsziel verankert. Wie Art 7 Abs 2 B-VG erklärt Art 9 Abs 2 einseitig begünstigende Maßnahmen zum Zweck des Ausgleichs bestehender Ungleichheiten ausdrücklich für zulässig.

 

Art 9 berücksichtigt Art 23 GRCh, welcher sich seinerseits auf Art 2, Art 3 Abs 2 und Art 141 Abs 3 und 4 EGV sowie auf die Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207 EWG beruft.

 

 

Art 10

Alte Menschen haben das Recht auf ein würdiges und unabhängiges Leben, auf Teilnahme am Arbeitsleben sowie am sozialen, politischen und kulturellen Leben und auf Hilfe im Fall der Pflegebedürftigkeit.

 

 

Erläuterungen:

Art 10 garantiert alten Menschen spezifische, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Rechte. Sie dürfen von den genannten Lebensbereichen nicht ausgeschlossen werden. Dem steht eine Pflicht des Staats gegenüber, die Teilnahme durch entsprechende Maßnahmen zu ermöglichen.

 

Das Recht auf ein würdiges und unabhängiges Leben ist insbesondere durch die Sicherung eines angemessenen Lebensstandards im Alter und durch Hilfe bei Pflegebedürftigkeit zu sichern. In diesem Zusammenhang wird auch auf Art 2 dieses Vorschlags verwiesen. Das Recht umfasst aber z. B. auch ein Recht auf entsprechende Gestaltung der Lebensverhältnisse in Alters- und Pflegeheimen.

 

Art 9 entspricht inhaltlich weitgehend Art 25 GRCh und stützt sich auch auf Nr. 25 und 26 der Gemeinschaftscharta. Siehe auch Art 23 RevESC.

 

 

Art 11

(1) Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(2) Behinderte haben ein Recht auf Zugang zu und auf Gleichstellung in allen Bereichen des täglichen Lebens.

 

Erläuterungen:

Art 11 hebt ausdrücklich das Verbot der Diskriminierung behinderter Menschen hervor. Er gibt diesen einen Anspruch auf Maßnahmen zur Integration in allen Lebensbereichen und geht damit über Art 7 Abs 1 3. Satz B-VG hinaus, der lediglich ein Staatsziel dieses Inhalts kennt. Einen Anspruch auf Integration Behinderter anerkennt auch Art 26 GRCh. Dieser Anspruch kann sich auch auf Art 15 ESC und Nr. 26 der Gemeinschaftscharta berufen.

 

 

Art 12

(1) Alle Menschen haben das Recht auf Wahrung und Pflege ihrer Sprache und kulturellen Identität.

(2) Das Bekenntnis zu einer Volksgruppe ist frei.

(3) Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung der Volksgruppen werden geachtet, gefördert und geschützt.

 

(4) Art 66 Abs 3 und 4 StV v. St. Germain, StGBl Nr. 303/1920 und Art 7 des StV v. Wien, BGBl 152/1955 sind Bestandteil der Bundesverfassung.

 

Erläuterungen:

Art 12 Abs 1 garantiert allen Menschen das Recht auf Wahrung und Pflege ihrer Sprache und kulturellen Identität. Er greift damit den in Art 22 GRCh niedergelegten Grundsatz auf, der sich u. a. auf Art 151 Abs 1 und 4 EGV beruft.

 

Abs 2 stellt das Bekenntnis zu einer Volksgruppe ausdrücklich der freien Entscheidung von deren Angehörigen anheim.

Als Angehörige einer Volksgruppe kommen nur österreichische Staatsbürger mit Wohnsitz im Inland in Betracht, die einer ethnischen, sprachlichen oder religiösen Minderheit angehören (vgl. Art 66 – 68 StV St. Germain). Es können sich neben den bestehenden Volksgruppen durch Zuwanderung auch neue Volksgruppen bilden.

 

Abs 3 verleiht den Volksgruppen und ihren Angehörigen ein Recht auf Achtung, Förderung und Schutz ihrer Sprache und Kultur, ihres Bestandes und ihrer Erhaltung. Insoweit geht er über das in Art 8 Abs 2 B-VG normierte Staatsziel hinaus.

 

Abs 4 verweist auf die bestehenden verfassungsrechtlichen Garantien für Minderheiten.

 

 

Art 13

Verfolgte haben ein Recht auf Asyl.

 

Erläuterungen:

Art 13 gewährt Vertriebenen in Übereinstimmung mit Art 18 GRCh ein Recht auf Asyl. Damit besteht ein verfassungsgesetzlich gewährleisteter Anspruch der Betroffenen auf Gewährung von Asyl, wie es im Genfer Abkommen v. 28. 7.1951 und im Protokoll v. 31. 1. 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vorgesehen ist.