Dr. Günter Voith
Leopold Steiner-Gasse 1a
1190 Wien
Wien,
30. 8. 2004
Gesetzesfolgenabschätzung (GFA)
Notwendigkeit der Gesetzesfolgenabschätzung
Angesichts
zunehmender Quantität und abnehmender Qualität neuer Normen (in Österreich
jährlich 10.000 Seiten BGBl.) begannen in vielen Ländern in den achtziger
Jahren systematische Bemühun-gen um Verbesserungen. Eine österreichische Studie
(Profactor 1998) ergab allein für die Industrie eine jährliche Gesamtbelastung
durch die Administration neuer Rechtsregeln von rund 11 Miard ATS = 800 Mio €. Die rechtlichen
Rahmenbedingungen und konkret auch die Übersichtlichkeit und Kompatibilität der
Normen bilden einen wesentlichen Standortfaktor eines Staates. Dabei ist der
Zeit- und Geldaufwand von neuen Gesetzen für den Staat auf allen Ebenen
einigermaßen im allgemeinen Bewusstsein verankert, aber kaum noch die Kosten
für die Wirtschaft und alle anderen rechtsunterworfenen Bürger.
Die Ursachen für
diese Mängel liegen in der Tendenz des Gesetzgebers, Einzel- und
Gruppen-wünsche zu erfüllen,
hauptsächlich aber auch im Zeitdruck, unter dem die Gesetzgebungs- (und
Ver-ordnungs-) tätigkeit steht; dieser Zeitdruck ist manchmal durch Sachzwänge
von außen bestimmt, meist aber hausgemacht: entweder durch lange politische
Vordiskussionen bis zum „letz-ten Moment“ oder durch Anlassgesetze. Daher
resultiert mangelnde legistische Qualität und unzu-reichendes Durchdenken und
Berücksichtigung der Folgen von Gesetzen. Erst später wird erkannt, ob die
Gesetze beabsichtigte Folgen haben, und wenn ja, ob nicht ein unbeabsichtigter,
die Vorteile der Regelung übersteigender Aufwand durch Rechtsunsicherheit und
andere unerwünschte Folgen in Verwaltung, Gesellschaft und Wirtschaft entgegen
steht. Neue Regelungen und Ausnahmen sind die Folge – eine unnötige Spirale.
Eine Gesetzesfolgenabschätzung mit Augenmaß kann für die Zukunft ein
wesentliches Ziel auch des Konvents erreichen helfen, nämlich die
unübersichtliche „Gesetzesflut“ - abgesehen von Verfassungsgesetzen –
einzudämmen.
Voraussetzungen
und Umsetzung der GFA
Die GFA kann
1.vorausschauend: Ist für eine beabsichtigte Regelung ein Rechtsakt
erforderlich und welche Regelungsalternativen sind mit welchen Effekten für wen
zu erwarten?
2.begleitend:
Vorausschauendes Verfahren für einen konkret vorliegendes
Regelungsentwurf oder
3.auswertend sein: Rückschau auf eine in Kraft getretene Regelung.
Eine GFA im Stadium
1 ist die rationellste; wenn nicht früh genug möglich, ist die Variante 2 zu
wählen. Es geht um eine Abschätzung der Gesetzesfolgen, nicht um genaue Berechnungen; jedoch soll die
Beurteilung ein zahlenmäßig darstellbares Ergebnis bringen.
Die umfassende GFA
beschränkt sich nicht – wie jetzt schon mehr alibihaft und höchst
unbefriedigend in einem Hinweis im Gesetz dargetan – auf Wirkung im jeweiligen
Budget, sondern hat die Folgen und insbesondere auch die Befolgungskosten für
die Verwaltung und für alle Rechtsunterworfenen darzustellen.
Vom zuständigen
Ministerium, bei Initiativanträgen von den betreffenden Abgeordneten ist die
Entscheidung zu treffen, welche Regelungsvorhaben als wichtig genug für ein
GFA-Verfahren einzuschätzen sind; eine Hilfestellung des Rechnungshofs ist
möglich. Die Industrie erwartet als Maßstab, wenn etwa das Vorhaben 1 % der
Gesamtkosten eines repräsentativen Unternehmens oder eine fixe Summe für die
Gesamtwirtschaft zu überschreiten erwarten lässt. Davon sind vielleicht 15 – 20
Gesetzesvorhaben im Jahr betroffen. Die Entscheidung und ihre Gründe ja oder
nein sind öffentlich zugänglich zu machen.
Die gutachtenartige
Abschätzung sollte dann von einer spezialisierten Gruppe einer unabhängigen
Instanz, zum Beispiel des Rechnungshofs, geleitet werden; sie hat – außer dem
Regelungseinbringer – betroffene Kreise, Statistiken, eventuell Litmus-Tests
und/oder Experten heranzuziehen, die aus einer „Liste des Sachverstands“ mit
Experten für viele Gebiete jene wählen lassen, von denen die für die
Abschätzung die beste Erfahrung zu erwarten ist. In 4 Wochen müsste der Bericht
vorliegen. So wird ein aufwändiges Bürokratieverfahren vermieden, auch eine
Zeitverzögerung dadurch, dass die GFA zeitlich mit der Begutachtung gekoppelt wird
(wenn auch tunlich früher anzusetzen, sodass die Begutachter auch zum
GFA-Bericht Stellung nehmen können). Das Ergebnis der GFA-Prüfung ist mit
Begründung zu publizieren.
Die
Gesetzesentscheidung liegt unverändert beim Parlament, die Verordnungsentscheidung
beim Minister. In den Bundesländern ist eine parallele Regelung sinnvoll.
„Folgenabschätzung sind Hilfen für die Entscheidungsfindung, nicht ein Ersatz
für politische Beurteilungen“ (Zitat aus der Mitteilung der EU-Kommission über
Folgenabschätzung vom Mai 2002).
Ausländische
Regelungsbeispiele
In Österreich
kennen Vorarlberg und Oberösterreich bereits eine Form der GFA. International
sind Beispiele etwa:
1.EU: Schon 1990 „Revised Impact Assessment
System“ mit Kostenschätzungen für solche Gesetzesvorhaben, die bedeutende
Auswirkung für die Wirtschaft haben. Ab 2002 hat die EU-Kommission eine genaue
und ausführliche Vorgangsweise für „vorläufige“ und „ausführliche“
Folgenabschätzungen festgelegt. Zitat: „Einer Folgenabschätzung werden die von
der Kommis-sion in ihrer jährlichen Strategieplanung oder ihrem Arbeitsprogramm
präsentierten wichtigen Initiativen unterzogen, seien es nun
Legislativvorschläge oder sosntige Vorschläge mit wirt-schaftlichen, sozialen
und umweltrelevanten Auswirkungen.“ Das Dokument KOM (2002) 278 spricht auch
ausdrücklich davon: „Bei der Folgenabschätzung handelt es sich um eine Aktion
des Aktionsplans Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds.“ - Noch
hat die Kommis-sion keine verbindlichen Richtlinien für die Mitglieder
erlassen, doch erwartet sie u. a. „die systematische Beifügung von solchen
Folgenabschätzungen zu notifizierten Regierungsentwür-fen“. Derzeit plant die
niederländische Präsidentschaft, die dem Thema „Bessere Gesetzgebung“ hohe
Priorität zumisst, eine Pilotstudie zur Erprobung der Folgenabschätzung bei
wesentlichen Änderungen zu Entwürfen im Rat und im EP; der erste Testfall dazu
ist die Batterierichtlinie.
2.U.S.A.: Das CBO (Congressional Budget Office) erstellt für den Congress GFAs;
dafür sind 25 Beamte zuständig. Die typischen Schätzungen werden (innerhalb
weniger Tage) für Gesetze durch-geführt, die entweder dem Staat oder der
Wirtschaft Kosten über einen gewissen Schwellenwert entstehen lassen. Gesetze
(statutes), die in den Kongressausschüssen formuliert wurden, dürfen erst nach
Stellungnahme der CBO im Plenum diskutiert werden. Die Kostenschätzung der CBO
muss die Auswirkungen von Rechtsnormen auf Beschäftigung, Produktivität,
Wettbewerbs-fähigkeit, Gesundheit, Sicherheit und Umweltschutz
berücksich-tigen. Kostenabschätzungen für Vorhaben unterhalb der Gesetzesstufe
werden von den Bundes-behörden selbst nach genauen Richtlinien durchgeführt.
3.Kanada: Hier gibt es Praxiserfahrungen schon
seit 1978, das GFA-Verfahren ist wohl weltweit das
ausgefeilteste. Seit 1992 zeigt die Government
Regulatory Policy in Zusammenarbeit mit Industrie, Interessensgruppen,
Arbeitsverbänden, Berufsorganisationen, anderen Verwaltungen und interessierten
Einzelpersonen bei Gesetzesvorhaben – je bedeutender, desto genauer – auf, „ob
1. ein Problem oder Risiko besteht, 2. ein Eingriff der Bundesverwaltung
gerechtfertigt ist und das Gesetzesvorhaben die beste Alternative darstellt, 3.
die Bevölkerung konsultiert wurde
und mitsprechen konnte, 4.
der Nutzen für die Bevölkerung, für die Verwaltung und für die Wirt-schaf t überwiegt und 5.
die Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten gering gehalten werden,
um Vermögen un Beschäftigung zu unterstützen, und keine unnötigen Be-lastungen
entstehen“ (!).
4.Australien: Der wirtschaftliche Erfolg
(Steigerung des BIP pro Kopf wesentlich höher als in der EU) wird auch auf die
Folgenabschätzung für neue Gesetzesvorschläge und der laufenden Über-
prüfung bestehender Rechtsnormen unter dem Gesichtspunkt nationaler
Wettbewerbsstärke zurückgeführt. Der Bundesstaat Queensland allein hat die
jährlichen Einsparungen durch diese Rechtsreformen mit umgerechnet 2,9 Miard €
angegeben. Eine eigene Behörde, das Office of Regulation Review (ORR),
überprüft die Regulierungsvorschläge, erstellt Berichte und schult Beamte.
Innerhalb der EU:
1.Großbritannien: Seit 1993 wird bei
Vorbereitung von Gesetzen und Verordnungen eine Bewer-tung von Kosten und
Nutzen und der Auswirkungen auf die Wirtschaft, insbesondere auf kleine und
mittlere Unternehmen („think small first“), und zwar von den Fachministerien,
vorgenommen. Die ministerielle Department Deregulation Unit (DDU) und die
Central Dere-gulation Unit (CDU) im Cabinet Office überwachen die Abschätzungen
(rund 250 im Jahr, ver-öffentlicht). Bei fehlender GFA kann der Minister
die Rechtsetzung stoppen.
Zusätzlich unter-stützen 18 Mitglieder (aus der Wirtschaft/Gesellschaft) in der
Better Regulation Task Force die Regierung für Deregulierung und
Gesetzesverbesserungen.
2.Dänemark: Bereits 1993 wurde eingeführt, dass
neue Gesetzesvorhaben von einer systematischen Abschätzung der Kosten und des
Nutzens für Wirtschaft und Umwelt begleitet werden. In einer Check-list und mit
Hilfe von Test Panels werden die Daten abgeschätzt. Erst danach wird ein
Gesetzesvorschlag weiter übermittelt.
3.Niederlande: Hier wird sogar eine
„Auslandsprüfung“ durchgeführt: Ob ähnliche Normen im Ausland in Kraft
sind und ob die Wettbewerbsstärke
der holländischen Wirtschaft aufgrund der geplanten Maßnahme geschwächt werden
könnte. Ein auf Folgekosten spezialisiertes For-schungsinstitut (EIM) wird von
den einzelnen Ressorts, koordiniert durch ein Joint Support Center,
herangezogen. EIM schätzt, dass 15 – 20 % der geplanten Rechtsakte auf Grund
der GFA umformuliert und weniger als 10 % zurückgezogen werden.
4.Schweden: Seit 1995 muss eine Analyse der
wirtschaftlichen Folgen der Gesetzesvorhaben an „The Swedish Enterprises
Reports Delegation“ gesandt werden, bevor ein Gesetz in Kraft gesetzt werden
kann. Seit 1999 müssen die Auswirkungen von Gesetzesvorhaben für kleine und
mittlere Betriebe besonders berücksichtigt werden.
5.Finnland: Jedes Ministerium setzt eine
Arbeitsgruppe ein, manchmal wird ein staatliches oder privates
Forschungsinstitut extra beauftragt. Es ist besteht ein ökonometrisches Modell
(KESSU) zur Berechnung der Auswirkung auf die Gesamtwirtschaft, auf die
Verwaltung und auf die (privaten) Haushalte.
6.Frankreich: Seit 1996 erfolgt eine Bewertung
von Vorhaben durch eine „étude d'impact“ mit Darstellung der erwarteten
Vorteile, Auswirkung auf den Arbeitsmarkt und auf andere Bereiche öffentlichen
Interesses (z. B. Umwelt), finanzielle Auswirkungen auf den Staat und
wirtschaft-liche Agenden. Die Evaluierung soll wo möglich quantitativ, sonst
qualitativ erfolgen.
7.Bundesrepublik Deutschland: Mit Hilfe
sogenannter „Blauer Prüffragen“ ist gemäß Gemein-samer Geschäftsordnung der
Bundesministerien (GGO) einem Gesetzentwurf eine Übersicht (Vorblatt) nach der
Gliederung Zielsetzung/Lösung/Alternativen/Kosten des öffentlichen Haus-halts
ohne und mit Vollzug/Sonstige Kosten für Wirtschaft etc.) voranzustellen. Dies
gilt für Vorlagen von Gesetzen und Rechtsverordnungen. In jedem Fall ist das
Bundesministerium für Wirtschaft einzubeziehen. Eine Arbeitshilfe zur
Ermittlung der Kostenfolgen von Rechtsvor-schriften wurde vom
Bundesinnenministerium mit dem Innenministerium Baden-Württemberg erstellt;
dieses Land ist am weitesten mit GFA für die Ländergesetzgebung. (Anmerkung: Es
scheint, dass die Handhabung in der BRD zu bürokratisch und kompliziert
geregelt ist).
Auch in der
Schweiz, in Italien, Portugal und für die OECD gibt es längst Systeme für die
Gesetzes-
folgenabschätzung.
Österreich hat Nachziehbedarf, von der EU ist auch verstärkter Druck zu
erwarten.
Die Übersicht über
die internationalen Erfahrungen zeigt, dass die Ziele – Vermeidung von
längerfristig volkswirtschaftlich schädlichen Regulierungen und auch von
unnötigen und Überre-gulierungen – gleich sind, die institutionelle Verankerung
jedoch sehr verschieden ist. Dies erleichtert eine sinnvolle und zielführende
Eingliederung in die österreichische Rechtsordnung. Es geht um die sachliche
Expertise und nicht um die formale Einordnung. So ist auch die verständliche
Zurückhaltung zu überwinden, mit der manche öffentliche Stellen einer
Folgenabschätzung gegen- überstehen: unmittelbar mehr Zeitaufwand und mangelnde
Gewohnheit, Schätzungen vorzunehmen.
Für die Frage, wie
ein GFA-System in Österreich aussehen sollte, gibt es schon eine Reihe
hoch-rangiger Studien. Ich verweise auch auf die Kurzübersicht „IV-Punktation
zur Gesetzesfolgen-abschätzung“ der Industriellenvereinigung vom Februar 2001.
Günter Voith
Quellenangabe:
Binder/Enzenhofer/ Strehl/Leitl: Berechnung und Abschätzung der
Folgekosten von Gesetzen in Österreich; Kepler-Universität 1999,
Fürst/Bendl: Folgekostenabschätzung von Gesetzen und Verordnungen; BM
für wirtschaftliche Angelegenheiten 1998,
Land Vorarlberg: Gesetzesfolgenabschätzung in Vorarlberg „Ein Leitfaden
für die Praxis“ 2001,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission
über Folgenabschätzung 2002
BDI-Bulletin Neues vom Wirtschaftsrecht September 2004