10 Maximen für bürgergerechte Gesetze

Gesetze sollen erlebbar, nachvollziehbar und vollstreckbar sein

 

 

Ziele:

 

¨      Erfolgreiche, weil verstandene und akzeptierte Gesetzgebung

¨      Eindämmung der Gesetzesflut

¨      Verbesserung des ”Zugangs zum Recht” für Bürger

¨      Erleichterung der Vollziehung durch die Verwaltung

 

 

Die folgenden 10 Maximen gehen zum Teil auf die ausführlichen Diskussionen im Rahmen der Aufgabenreformkommission zurück, aus systematischen Gründen er­folgte jedoch keine Aufnahme in den Bericht der Kommission. Manche Vorschläge haben ihr Vorbild auch in Eigentümlichkeiten der EU-Gesetzgebung. Grundlage dieser Maximen sind die Erfahrungen der ÖAMTC-Juristen mit zahlreichen Gesetz­gebungsverfahren vor und während deren parlamentarischer Behandlung

 

 

10 Maximen:

 

1.      Verständliche Gesetzessprache

2.      Umfassende Abschätzung der Gesetzesfolgen

3.      Obligatorisches ausreichendes Begutachtungsverfahren

4.      Publizität des Gesetzgebungsprozesses

5.      Ausreichende Legisvakanz vor Inkrafttreten

6.      Kundmachung der ”Erwägungsgründe”

7.      Information über wichtige Gesetze

8.      Erfahrungsberichte über Auswirkungen von Gesetzen

9.      Aufwertung parlamentarischer Entschließungen

10. Demokratische Willensbildung auch bei EU-Gesetzesvorhaben 


 

Erläuterungen

zu den 10 Maximen für bürgergerechte Gesetze

 

 

1.      Verständliche Gesetzessprache 
Auch Nichtfachleute sollen zumindest den wesentlichen Inhalt von Gesetzen ver­stehen; ebenso sollen Politiker das verstehen, was sie beschließen. Rudi­men­täre, puzzleartige Novellierungstexte (zB ”in Z 7 wird anstelle des Wortes.... der Ausdruck .... eingesetzt”) sollen genauso vermieden werden wie bloße Ver­wei­sungen auf Gesetze oder auf (uU in Österreich gar nicht veröffentlichte) EU-Vor­schriften. 

2.      Umfassende Abschätzung der Gesetzesfolgen     
Nach den legistischen Richtlinien ist vorgesehen, dass die Erläuterungen zu Ge­setzesvorschlägen sowohl Aussagen über die finanziellen Folgen als auch über die ”Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich” enthalten. Tatsache ist jedoch, dass diese Abschätzungen oft nur im Ansatz oder überhaupt nicht erfolgen bzw nur die Vollziehungskosten des Bundes, nicht aber die der Länder und Gemeinden aufzeigen. Daher wäre eine effektive Kontrolle einer derartigen verpflichtenden Gesetzesfolgenabschätzung durch den Rech­nungshof im Rahmen des Begutachtungsverfahrens anzustreben.           
Darü­ber hinaus sollten auch die finanziellen und sonstigen Folgen (wie Verein­fachungen, Erleichterungen, Erschwernisse, Sanktionen) für die be­troffenen Bürger in den erläuternden Bemerkungen beurteilt werden.   
Die Erforderlichkeit von Gesetzen oder Novellierungen wird oft nur oberflächlich begründet, unter “Alternativen” heißt es meist lapidar: Keine. Wenn “Erläuterun­gen” im wesentlichen nur den Gesetzeswortlaut wiederholen oder sich gar ver­schweigen, stellt dies den Verfassern kein gutes Zeugnis aus und macht es den zur Begutachtung eingeladenen Stellen oft unmöglich, die Neuerungen zu beur­teilen.

           

3.      Obligatorisches ausreichendes Begutachtungsverfahren   
Beispiele - nicht nur aus der jüngsten Vergangenheit - zeigen immer wieder, dass Gesetzentwürfe ohne oder mit nur unzureichendem Begutachtungsverfahren dem Parlament zugeleitet und dort beschlossen werden. Daher wäre aus demo­kra­tiepolitischen Gründen ein - je nach Umfang und Bedeutung des jeweiligen Gesetzesvorschlages - ausreichend langes Begutachtungsverfahren (zwischen sechs Wochen und drei Monaten - unter Berück­sichtigung der üblichen Urlaubs­zeiten) verpflichtend vorzusehen. Ausnahmen im unbedingt erforderlichen Aus­maß müssten konkret gesetzlich festgelegt werden, zB wenn ein ansonsten nicht wieder gutzumachender Schaden eintreten könnte.    
Dadurch soll keinesfalls das Recht des Nationalrates, Gesetzesvorlagen durch Ini­tiativanträge einzubringen, geschmälert werden. Leider werden Initiativan­träge immer wieder zu in ihren Auswirkungen oft problematischen ”Schnellschüssen” genützt. Daher wären künftig auch (was bisher viel zu selten geschieht) Initiativ­anträge nach Zuweisung zum entsprechenden Ausschuss einem ausreichenden Begutachtungsverfahren seitens der Parlamentsdirektion zu unterziehen. Viele Probleme der Akzeptanz bzw schweren Vollziehbarkeit ließen sich dadurch ver­meiden.   
Beispielhaft und mit Vorbildwirkung soll die Vorgangsweise des BMJ bei vielen Gesetzesänderungen hervorgehoben werden: Diskussion eines inhaltlichen Kon­zeptes mit den unmittelbar betroffenen Kreisen (möglichst unter Einbeziehung der Wissen­schaft), hierauf Begutachtungsverfahren mit einem eingehenden auch Literatur und Judi­katur be­rücksichtigenden Erläuterungsteil sowie neuerliche Konsultation mit interessierten Kreisen vor Fertigstellung einer Regierungsvor­lage. 
Anzustreben ist weiters - wie dies zB vom BKA im Rahmen des Begutachtungs­verfahrens zum Verwaltungsreformgesetz 2001 erfolgte - das Anbieten von Alter­nativlösungen mit Erläuterung der sich jeweils daraus ergebenden Schluss­fol­ge­rungen. Wünschenswert ist schließlich, den Erläuterungen zu Gesetzesentwürfen eine Textgegenüberstellung anzuschließen, aus der die jeweiligen konkreten Änderungen (zB durch Fettdruck) hervorgehoben sind.     

4.      Publizität des Gesetzgebungsprozesses 
Bürger, aber auch Interessenvertretungen sollen nicht erst aus dem Bun­des­gesetzblatt den Inhalt von Gesetzen kennen lernen; obwohl sich diesbezüglich in den letzten Jahren eine spürbare Verbesserung zeigte, besteht bei umfang­reicheren Gesetzesvorhaben fallweise auch einige Zeit nach Beschluss einer Regierungsvorlage auf der Homepage des Parlaments keine Zugriffsmöglichkeit. Um dem Gesetzgebungsprozess künftig die notwendige Publizität zu ver­schaffen, sollten alle Gesetzesentwürfe, Regierungsvorlagen, Initiativanträge, sowie die Ausschussberichte unmittelbar nach Beschlussfassung über Internet ebenso öffentlich zugänglich gemacht werden, wie dies (in der Regel) mit den (elektronisch) eingelangten Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren geschieht. Außerdem sollten Abänderungsanträge, die im Umfang manchmal sogar den eingebrachten Gesetzesvorschlag übertreffen, im gleichen erforder­lichen Maße begründet werden, wie dies von Regierungsvorlagen erwartet werden muss.      

5.      Ausreichende Legisvakanz vor Inkrafttreten           
Bürger und Verwaltung sollen sich auf neue Gesetze bzw Gesetzesänderungen ausreichend vorbereiten können; so wird seitens der Exekutive immer wieder kri­tisiert, dass ihre Beamten über Neuerungen nicht rechtzeitig geschult werden können. Daher soll künftig eine Zeit von mindestens ein bis zwei Monaten zwischen der Kundmachung im BGBl und dem Inkrafttreten liegen, sind Durch­führungsVO zu erlassen, sollte die Legisvakanz mindestens sechs Monate dauern. Ein Inkrafttreten mit dem auf die Kundmachung folgenden Tag dürfte es nur in Aus­nahmefällen geben, die konkret und restriktiv festzulegen wären.  
Ein besonders drastisches - negatives - Beispiel zeigte das Inkrafttreten des Führerscheingesetzes: Beschluss im NR im Juli 1997, Veröffentli­chung im BGBl am 30.10.1997, sowie Kundmachung mehrerer Durchführungs­verordnun­gen im BGBl am 31.10.1997, Inkrafttreten sämtlicher neuen Bestim­mungen am 1.11.1997(!); Vorbereitungszeit für Behörden und Bürger: keine.      

6.      Kundmachung der ”Erwägungsgründe”          
Die Absicht des Gesetzgebers, aber auch der Konnex mit zusammenhängenden Materien bleibt durch den bloßen Gesetzestext leider oft verborgen. Die Ver­öf­fentlichung von ”Erwägungsgründen” (analog dem EU-Vorbild) im BGBl kann das Ver­ständnis für Maßnahmen des Gesetzgebers erleichtern und bei der dem Sinn des Gesetzes entsprechenden Vollziehung helfen.  

7.      Information über wichtige Gesetze 
Es wäre vermessen zu glauben, die bloße Kundmachung eines Gesetzes im BGBl könne - bei der Fülle der beschlossenen Texte - von selbst Veränderungen herbeiführen; so wird zB oft die beabsichtigte präventive Wirkung der Verschär­fung von Strafbestimmungen zur Farce, da diese ohne Publizität auch keine ab­schreckende Wirkung entfalten können (so blieb zB die drastische Verschärfung der Sanktionen gegen stark alkoholisierte Autofahrer fast wirkungslos, die Zahl der Verkehrsunfälle mit Beteiligung alkoholisierter Lenker steigt wieder seit Jahren). Daher sollten die zuständigen Minister zur Information über wichtige, das Verhalten der Bürger beeinflussende Gesetze in bürgergerechter und einpräg­samer Form (über Medien, Folder, Broschüren, Plakate, Spots, Internet etc) ver­pflichtet werden.   

 

8.      Erfahrungsberichte über Auswirkungen von Gesetzen     
Als Pendant zur umfassenden Gesetzesfolgenabschätzung (s Maxime 2) sollten die zuständigen Minister verpflichtet werden, zwei Jahre nach Inkraft­treten wichti­ger Gesetze einen Erfahrungsbericht an den Nationalrat zu erstellen. Dadurch wird auch eine Evaluierung der im Entwurfsstadium getroffenen (in den EB wiedergegebenen) An­nahmen möglich und ein allfälliger Nachjustierungsbedarf ersichtlich.    

9.      Aufwertung parlamentarischer Entschließungen  
Bisher wurde dem in parlamentarischen Entschließungen ausgedrückten Willen der Legislative von den angesprochenen Ministern oft nur unzureichend Rech­nung getragen; das unterlassene Einfordern einer termingerechten Erledigung begüns­tigte diese Vorgangsweise. Die verschiedentlich geäußerte Ansicht, dass unerle­digte Entschließungen mit dem Ende der laufenden Legislaturperiode als “erle­digt” anzusehen seien, ist un­haltbar und würde viele Entschließungen (zB hin­sichtlich der Vorlage eines Erfah­rungsberichtes nach einigen Jahren) von vorn­herein ad absurdum führen. Um den Beschlüssen unserer Volksvertreter den ge­bührenden Stellenwert einzuräu­men, sollte daher künftig einer politisch unab­hängigen Stelle die Evidenzhaltung und Ein­haltungskontrolle übertragen werden.

10. Demokratische Willensbildung auch bei EU-Gesetzesvor­haben     
Seit dem Beitritt Österreichs zur EU kommt den Beschlüssen der gesetzgeben­den EU-Gremien besondere Bedeutung zu; viele EU-Richtlinien lassen dem österreichischen Gesetzgeber nur mehr einen geringen Umsetzungsspielraum. Aufgrund der oft sehr komplexen Materie können einzelne Beamte als öster­rei­chische Vertreter bei den Beratungen der Ratsarbeitsgruppen in Brüssel weit­gehend selbstständig die österreichische Position bestimmen, was sowohl rechts- als auch demokratiepoli­tisch sehr problematisch ist. Der ständige EU-Aus­schuss des Parlaments wäre wohl überfordert, wenn er sich laufend mit Details beschäftigen müsste, die oft nur Fachleuten verständlich sind. Daher sollten künftig die Minister bzw die zuständigen Beamten verpflichtet werden, die österreichische Position im Rahmen des EU-Gesetzgebungsprozesses erst nach Durchführung von Begutachtungsver­fahren bzw Konsultationen mit den Vertretern der Parteien und der betroffenen Interessenvertretungen festzulegen und über Internet zugänglich zu machen..

 

Wien, Juni 2003

(aktualisierte Fassung)