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Konzept, 31.3.2004

Positionspapier des Österreichischen Gemeindebundes zur „Gleichheit der Lebensverhältnisse“

 

1. In der deutschen Diskussion um die bundesstaatliche Finanzverfassung spielt der Begriff der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ seit den 70-er Jahren eine gewisse Rolle. In Österreich wird dieser Begriff ebenfalls mittelbar in der Finanzausgleichsdiskussion verwendet, dieser Begriff oder der Begriff „Gleichheit der Lebensverhältnisse war in Österreich bisher aber noch nie positivrechtlich verankert worden. „Gleichheit der Lebensverhältnisse“ ist ein gewisser Widerspruch zur bundesstaatlichen Idee, wonach in den einzelnen Teilordnungen des föderativen Systems eben nicht gleiche, sondern unterschiedliche Lebensverhältnisse herrschen sollen. Diese „klassische“ Idee des Föderalismus ist aber seit Jahrzehnten überholt. Die Bürger eines bundesstaatlichen Systems wünschen sich heute, wenn auch nicht idente, so doch gleichartige rechtliche, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Standards. Dies verlangt eine gewisse homogenisierte Struktur der öffentlichen Aufgaben und der Instrumente ihrer Bewältigung. Hinzu kommt, dass die meisten Leistungen der Daseinsvorsorge aufgrund von einheitlichen Planungsvorgaben, technischen Normen, gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben, ein gewisses Maß an Harmonisierung aufweisen müssen. Die Gleichheit der Lebensverhältnisse ist daher schon heute in weitem Umfang realisiert. Es geht daher nicht um die Einführung eines neuen Begriffs, sondern vielmehr um dessen Präzisierung und um die Verdeutlichung des Inhalts, um diesen rechtlich formulierbar und justitiabel zu gestalten.

2. Für die österreichischen Gemeinden ist die rechtliche Verankerung oder auch nur die Ausrichtung finanzverfassungs- und finanzausgleichsrechtlicher Maßnahmen am Prinzip der Gleichheit der Lebensverhältnisse nicht unproblematisch. Hier tauchen nämlich Spannungsverhältnisse zwischen finanzstarken und finanzschwachen Gemeinden, zwischen Gemeinden in Ballungsgebieten und peripher gelegenen Gemeinden, und zwischen Gemeinden mit verdichteter und solchen mit verstreuter Siedlungsstruktur auf. Eine echte Gleichheit der Lebensverhältnisse im Sinne einer Identität öffentlicher Leistungen für alle Gemeinden ist weder erstrebenswert noch realisierbar. Man sollte daher an Stelle der „Gleichheit der Lebensverhältnisse“ besser auf den Begriff „Homogenität der Lebensverhältnisse“ greifen.

3. Die Homogenität der Lebensverhältnisse braucht für den Bereich der Hoheitsverwaltung nicht näher problematisiert wird. Hier gilt umfassend der allgemeine Gleichheitsgrundsatz, der die Bereitstellung hoheitlich zu vergebender Leistungen ohnehin sichert. Von besonderer Bedeutung ist dieser Begriff jedoch im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung, hier insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge. In den Kernbereichen der Daseinsvorsorge hat die österreichische Gesetzgebung die öffentliche Hand in vielen Fällen mit Pflichtaufgaben betraut. Ver- und Entsorgung (Elektrizität, Gas, Wasser, Abfall, Abwässer, etc) sind gesetzlich genau und standardisiert geregelt. Die Abfuhr des Hausmülls mag zwar in einzelnen Gemeinden besser, in anderen schlechter organisiert sein, gleichwohl bestehen hier zwischen dem Bodensee und dem Neusiedler See keine wirklich gravierenden Unterschiede in der Qualität der Leistungserbringung. In all diesen Fällen kommt der öffentlichen Hand, insbesondere den Gemeinden, eine Gewährleistungsverantwortung zu, die es ihr ermöglicht, diese Aufgaben selbst oder durch Private wahrnehmen zu lassen. Der öffentlichen Hand bleibt jedenfalls die Letztverantwortung, aber auch schon vorher ein Weisungs- und Überwachungsrecht. Unter dem Titel der Einheitlichkeit bzw Homogenität der Lebensverhältnisse muss hier finanzverfassungs- und finanzausgleichsrechtlich vorgesorgt werden, dass die Kommunen ausreichend finanzielle Mittel haben, um diese Aufgaben entsprechend den gesetzlichen Vorgaben erfüllen zu können. Aus der Sicht des Finanzverfassungsrechts ist eine solche Gewährleistung implizit schon im § 4 F-VG enthalten. Allerdings würde eine Aufnahme der Aufgaben der Daseinsvorsorge und der kommunalen Infrastruktur sowie ein Hinweis auf die Einheitlichkeit bzw Homogenität der Lebensverhältnisse für die Finanzausgleichsgerechtigkeit einen Verstärkereffekt bedeuten.

4. Problematischer ist die Homogenität der Lebensverhältnisse in jenen Bereichen der Daseinsvorsorge, in denen kein gesetzlicher Handlungszwang besteht, in denen aber der Druck der Gemeindebewohner auf die Erbringung kommunaler Leistungen sehr hoch ist. Hierbei ist insbesondere an Einrichtungen der Alten- und Krankenpflege, von Sportstätten, Jugendheimen, Musikschulen, Kinderbetreuungseinrichtungen, etc zu denken. In diesen Bereichen werden große finanzausgleichsrechtliche Probleme in der Zukunft zu bewältigen sein. Denn eine Konzentration von Einrichtungen der Altenpflege, von Kinderbetreuungseinrichtungen in Ballungszentren wird zweifellos nicht den Bedürfnissen der Zukunft gerecht. Gerade an diesen beiden Beispielen zeigt sich, dass der Begriff der Homogenität der Lebensverhältnisse eine wichtige Bedeutung in einer künftigen Finanzverfassung spielen muss. Denn die Bedürfnisse berufstätiger Mütter und pflegebedürftiger alter Menschen sind in der Sache die gleichen, ob diese Dienste in urbanen oder ländlichen Gebieten gefragt sind. Beide Beispiele zeigen, dass hier dezentrale Versorgungseinrichtungen der Daseinsvorsorge unbedingt auch in Hinkunft nötig sein werden. Wollen die Gemeinden weiterhin qualitativ hochwertige Leistungen in der Daseinsvorsorge anbieten, so muss gewährleistet sein, dass solche Aufgaben auch in finanzschwachen Gemeinden erbracht werden können. Dass dabei Möglichkeiten interkommunaler Zusammenarbeit genutzt werden müssen, versteht sich von selbst.

5. Um den Begriff der Gleichheit bzw Homogenität der Lebensverhältnisse präzisieren zu können, muss zunächst ein Katalog von Maßnahmen der Daseinsvorsorge erstellt werden, wo schon derzeit die Einheitlichkeit bzw Homogenität hinreichend gesetzlich abgesichert ist. Ebenso bedarf es einer Liste von Aufgaben, welche heute vom Gemeindebewohner von seiner Gemeinde verlangt werden, die aber nicht von allen Gemeinden in gleicher Weise erbracht werden können. Zu letzterer Gruppe zählen insbesondere soziale und kulturelle Aufgaben. Anhand eines solchen Aufgabenkataloges kann dann empirisch ermittelt werden, in welchen Bereichen starke Qualitätsunterschiede in der daseinsvorsorgenden Aufgabenerfüllung der Gemeinden bestehen und inwieweit diese auf die schwache Finanzkraft der Gemeinden zurückzuführen sind. Diese Aufgaben müssen in Zukunft die entsprechende gesetzliche Beachtung im Finanzausgleich finden.

6. Diese Leistungen, die die Gemeindebewohner in ganz Österreich von ihren Kommunen in möglichst gleichwertiger Qualität und zu möglichst gleichwertigen Preisen verlangen, werden wohl auch in Zukunft wenigstens durch eine kommunale Gewehrleistungsverantwortung gesichert sein müssen. Hier muss die Finanzverfassung Akzente setzen, um eine Filetierung dieser Leistungen durch eine falsch verstandene Liberalisierung und Privatisierung zu verhindern. Wenn nämlich Kommunen nur mehr auf den daseinsvorsorgenden Aufgaben sitzen bleiben, welche am Markt keinen oder nur sehr geringen Gewinne abwerfen, ja die im weiten Sinne defizitär sind, so ist das Konzept der Homogenität der Lebensverhältnisse potentiell bedroht. Denn soziale und kulturelle Leistungen lassen sich in Ballungsgebieten marktwirtschaftlich gut organisieren, während dies in peripheren Gemeinden nicht möglich ist. Hier gilt es zu verhindern, dass marktwirtschaftliche Mechanismen die Homogenität der Lebensverhältnisse nur mehr zwischen unterschiedlichen Ballungsgebieten vergleichbar machen. Wenn es in diesen Bereichen zu einer Kluft zwischen Ballungsräumen und peripheren Gebieten kommt, ist die Zukunft des ländlichen Raumes langfristig bedroht, da die Menschen kein Verständnis dafür haben, dass gleichartige Leistungen in unterschiedlicher Qualität und zu unterschiedlichen Preisen angeboten werden, je nachdem, ob es sich um periphere oder zentrale Räume handelt.

7. Eine juristische Definition der Einheitlichkeit bzw Homogenität der Lebensverhältnisse ist schwer zu finden, da es sich hier um einen äußerst komplexen Begriff handelt. Eine Begriffsbildung sollte jedoch auf folgende Elemente Bedacht nehmen: Gleichheit der Lebensverhältnisse muss bedeuten, dass die Qualität von Verwaltungsleistungen, einschließlich solcher daseinsvorsorgender Leistungen der Privatwirtschaftsverwaltung in ganz Österreich gleichmäßig in Qualität und Preis angeboten werden (da dies nie vollständig erreicht werden kann, empfiehlt sich eben der Begriff der Homogenität anstelle der weitergehenden Gleichheit). Weiters soll darauf abgestellt werden, dass es sich hier um unverzichtbare Leistungen für die Bürger handelt. Ob man hier Kinderbetreuung, Altenpflege, Sportstättenbau, etc in die Begriffsbildung exemplarisch aufnimmt oder nicht, müsste noch eingehend diskutiert werden. Schließlich muss es sich um Leistungen handeln, die am besten in der öffentlichen Hand angesiedelt sind. Dabei soll auf die Gewährleistungsverantwortung und nicht so sehr auf die Erfüllungsverantwortung abgestellt werden.