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Konzept,31.3.2004

Positionspapier des Österreichischen Gemeindebundes über Formulierungen und Definitionen der „Daseinsvorsorge“ und deren Verankerung in der Finanzverfassung

 

1. Der von Ernst Forsthoff geprägte Begriff der Daseinsvorsorge beinhaltet die staatliche Vorsorge für sozial bedürftige Bürger. Etwas verallgemeinert könnte man Daseinsvorsorge auch Zurverfügungstellung von für die moderne Industriegesellschaft lebensnotwendigen Infrastrukturleistungen, erbracht durch die öffentliche Hand, bezeichnen. In der Forsthoff’schen Begriffsbildung ist es nicht entscheidend, ob der Staat diese Leistungen selbst erbringt bzw durch öffentliche Unternehmen erbringen lässt oder ob hier Private tätig werden, die dann allerdings der staatlichen Aufsicht unterliegen. Schon Forsthoff erkannte die dominierende Rolle der Gemeinden in der Daseinsvorsorge. Diese Begrifflichkeit hat durch ihre offene und flexible Textierung auch heute noch Gültigkeit. Die Erbringung von daseinsnotwendigen Leistungen durch Verwaltungseinheiten oder staatsabhängige Unternehmen steht auch heute noch im Zentrum des Daseinsvorsorgebegriffs.

 

2. Die Daseinsvorsorge hat in der österreichischen Kommunalpolitik eine überragende Bedeutung. In den Augen der Bevölkerung ist die kommunale Daseinsvorsorge wohl wichtiger einzustufen als die kommunale Hoheitsverwaltung. Denn die vielfältigen Leistungen in der Ver- und Entsorgung, in der Sozial- Wirtschafts- Kultur- Sport- und Umweltpolitik sind heute nicht mehr wegzudenkende Faktoren der modernen Gemeindearbeit. In den letzten Jahrzehnten hat allerdings insoweit ein Strukturwandel stattgefunden, als anstelle des klassischen Regiebetriebes nunmehr ausgegliederte Unternehmen oder „echte“ Private unter der Aufsicht der Gemeinden, welche vielfach gesellschafts- und vertragsrechtlich konstituiert wird, die Aufgaben erfüllen. Dafür hat sich das Schlagwort der „Gewährleistungsverantwortung“ eingebürgert.

 

3. Die kommunale Daseinsvorsorge ist heue unter beachtlichen Druck geraten. Dafür ist einerseits die innerstaatliche Privatisierungsdebatte und Privatisierungsstrategie des Neo-Liberalismus verantwortlich, andererseits kommt ein wesentlicher Teil dieses Drucks von der EU. Durch eine Reihe von Rechtsakten wurde darauf hingearbeitet, öffentliche und private Unternehmen gleichzustellen, staatliche Subventionen an öffentliche Unternehmen zurückzudrängen und der Quasi-Monopolcharakter bestimmter öffentlicher Unternehmen aufzubrechen. Mit dieser Marktöffnung erhofft sich die EU mehr Vorteile für die Kunden und einen weiteren Schritt hin zur Vollendung des Binnenmarktes.

 

4. Diese Erwartungen mögen sich in einigen Branchen bewahrheitet haben (Telekommunikation, Rundfunk). In einer Reihe von anderen Branchen wirft die Liberalisierung der Daseinsvorsorge jedoch schwerwiegende Probleme für die Kommunen auf. Zunächst droht die Gefahr der Filetierung von gesamthaft organisierten Leistungen der Daseinsvorsorge. In den Bereichen des öffentlichen Personennahverkehrs, der Altenpflege, der Kinderbetreuungseinrichtungen, des kommunalen Umweltschutzes, etc werden private Unternehmer mit Vergnügen auf jene Betriebe zugreifen, welche in der Lage sind, Gewinne zu erwirtschaften. Jene anderen Bereiche, die gleichfalls bedient werden müssen, die aber für sich selber nicht profitabel sind und in einem Gesamtkonzept im Wege des Querverbundes finanziert werden können, droht hier das Aus. Hier wird zwangsläufig die Öffentliche Hand einspringen müssen, will man daseinsnotwendige Leistungen flächendeckend anbieten. Für die Gemeinden bedeutet dies, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren. Dass dies für die Gemeindekassen in Zukunft riesige Probleme mit sich bringen wird, muss wohl nicht näher begründet werden. Eine weitgehende Privatisierung der Daseinsvorsorge würde die Gemeinden ihrer wichtigsten Aufgaben entledigen. Die Gemeinden kämpfen aber nicht um den Erhalt der Aufgaben der Daseinsvorsorge aus Gründen des Machterhalts und der Wahrung wichtiger politischer Spielräume, die Erhaltung der Daseinsvorsorge als kommunale Aufgabe muss aus qualitativen Gründen gefordert werden. Zum einen sichern die Gemeinden durch die Profitneutralität der von ihnen besorgten Aufgaben auch die Qualität. Für die Gemeinden steht zwar selbstverständlich eine ökonomische Zweck-Mittel-Relation im Vordergrund. Im Zentrum ihrer Verantwortung steht jedoch die Qualität der Dienstleistungen, da die Akzeptanz dieser Qualität nicht vom Preis, sondern vom demokratischen Votum bestimmt wird. Schließlich bleibt die Verantwortung der Gemeinden bestehen, mag der Gesetzgeber auch auf eine ausdrückliche Aufgabenzuweisung an die Gemeinde verzichten. Denn wenn ein Abfallentsorgungsunternehmen oder ein Klärwerk insolvent werden, werden sich die verantwortlichen Gemeindepolitiker kaum zurücklehnen können und der Bevölkerung vermitteln, dies alles ginge sie nichts an. Vielmehr muss die Gemeinde in Wahrnehmung ihrer demokratischen Grundverantwortung hier wohl oder übel einspringen.

 

5. Aus der Sicht der österreichischen Gemeinden ist der Trend zur Liberalisierung der Daseinsvorsorge abzulehnen. Gleichwohl ist es völlig ungewiss, wohin die gemeinschaftsrechtliche und Nationalrechtliche Zukunft der Daseinsvorsorge gehen wird. Aus derzeitiger Sicht ist jedoch in absehbarer Zeit ein Ausklinken der Gemeinden aus der Daseinsvorsorge nicht zu erwarten. Um aber zu verhindern, dass diese Aufgaben mit Hinweis auf mögliche Privatisierungsstrategien finanzausgleichsrechtlich ausgehungert werden, muss eine Verankerung in der österreichischen Finanzverfassung unbedingt erfolgen. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten: Man könnte die Aufgaben der Daseinsvorsorge im Abschnitt „Gemeindeaufgaben“ in Art 118 B-VG ausdrücklich erwähnen. Zusätzlich bedarf die Daseinsvorsorge, aber auch die kommunale Infrastruktur, einer ausdrücklichen Regelung im F-VG. Man könnte einen weiteren Satz der Bestimmung des § 4 F-VG anfügen: „Die Finanzausgleichsgesetzgebung hat auf die nachhaltige Sicherung der Aufgaben der Daseinsvorsorge durch die Gemeinde und die kommunale Infrastruktur Bedacht zu nehmen“.