A-1010 Wien – Löwelstraße
6
Telefon: +43/1/512 14 80
Telefax: +43/1/512 14 80 – 72
oesterreichischer@gemeindebund.gv.at
Positionspapier
des Österreichischen Gemeindebundes über Formulierungen und Definitionen der
„Daseinsvorsorge“ und deren Verankerung in der Finanzverfassung
1. Der
von Ernst Forsthoff geprägte Begriff der Daseinsvorsorge beinhaltet die staatliche
Vorsorge für sozial bedürftige Bürger. Etwas verallgemeinert könnte man Daseinsvorsorge
auch Zurverfügungstellung von für die moderne Industriegesellschaft
lebensnotwendigen Infrastrukturleistungen, erbracht durch die öffentliche Hand,
bezeichnen. In der Forsthoff’schen Begriffsbildung ist es nicht entscheidend,
ob der Staat diese Leistungen selbst erbringt bzw durch öffentliche Unternehmen
erbringen lässt oder ob hier Private tätig werden, die dann allerdings der
staatlichen Aufsicht unterliegen. Schon Forsthoff erkannte die dominierende
Rolle der Gemeinden in der Daseinsvorsorge. Diese Begrifflichkeit hat durch
ihre offene und flexible Textierung auch heute noch Gültigkeit. Die Erbringung
von daseinsnotwendigen Leistungen durch Verwaltungseinheiten oder
staatsabhängige Unternehmen steht auch heute noch im Zentrum des Daseinsvorsorgebegriffs.
2. Die
Daseinsvorsorge hat in der österreichischen Kommunalpolitik eine überragende
Bedeutung. In den Augen der Bevölkerung ist die kommunale Daseinsvorsorge wohl
wichtiger einzustufen als die kommunale Hoheitsverwaltung. Denn die vielfältigen
Leistungen in der Ver- und Entsorgung, in der Sozial- Wirtschafts- Kultur-
Sport- und Umweltpolitik sind heute nicht mehr wegzudenkende Faktoren der
modernen Gemeindearbeit. In den letzten Jahrzehnten hat allerdings insoweit ein
Strukturwandel stattgefunden, als anstelle des klassischen Regiebetriebes
nunmehr ausgegliederte Unternehmen oder „echte“ Private unter der Aufsicht der
Gemeinden, welche vielfach gesellschafts- und vertragsrechtlich konstituiert
wird, die Aufgaben erfüllen. Dafür hat sich das Schlagwort der
„Gewährleistungsverantwortung“ eingebürgert.
3. Die
kommunale Daseinsvorsorge ist heue unter beachtlichen Druck geraten. Dafür ist
einerseits die innerstaatliche Privatisierungsdebatte und
Privatisierungsstrategie des Neo-Liberalismus verantwortlich, andererseits
kommt ein wesentlicher Teil dieses Drucks von der EU. Durch eine Reihe von
Rechtsakten wurde darauf hingearbeitet, öffentliche und private Unternehmen
gleichzustellen, staatliche Subventionen an öffentliche Unternehmen
zurückzudrängen und der Quasi-Monopolcharakter bestimmter öffentlicher
Unternehmen aufzubrechen. Mit dieser Marktöffnung erhofft sich die EU mehr
Vorteile für die Kunden und einen weiteren Schritt hin zur Vollendung des
Binnenmarktes.
4. Diese
Erwartungen mögen sich in einigen Branchen bewahrheitet haben
(Telekommunikation, Rundfunk). In einer Reihe von anderen Branchen wirft die
Liberalisierung der Daseinsvorsorge jedoch schwerwiegende Probleme für die
Kommunen auf. Zunächst droht die Gefahr der Filetierung von gesamthaft
organisierten Leistungen der Daseinsvorsorge. In den Bereichen des öffentlichen
Personennahverkehrs, der Altenpflege, der Kinderbetreuungseinrichtungen, des
kommunalen Umweltschutzes, etc werden private Unternehmer mit Vergnügen auf
jene Betriebe zugreifen, welche in der Lage sind, Gewinne zu erwirtschaften.
Jene anderen Bereiche, die gleichfalls bedient werden müssen, die aber für sich
selber nicht profitabel sind und in einem Gesamtkonzept im Wege des
Querverbundes finanziert werden können, droht hier das Aus. Hier wird
zwangsläufig die Öffentliche Hand einspringen müssen, will man
daseinsnotwendige Leistungen flächendeckend anbieten. Für die Gemeinden
bedeutet dies, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren. Dass
dies für die Gemeindekassen in Zukunft riesige Probleme mit sich bringen wird,
muss wohl nicht näher begründet werden. Eine weitgehende Privatisierung der
Daseinsvorsorge würde die Gemeinden ihrer wichtigsten Aufgaben entledigen. Die
Gemeinden kämpfen aber nicht um den Erhalt der Aufgaben der Daseinsvorsorge aus
Gründen des Machterhalts und der Wahrung wichtiger politischer Spielräume, die
Erhaltung der Daseinsvorsorge als kommunale Aufgabe muss aus qualitativen
Gründen gefordert werden. Zum einen sichern die Gemeinden durch die
Profitneutralität der von ihnen besorgten Aufgaben auch die Qualität. Für die
Gemeinden steht zwar selbstverständlich eine ökonomische Zweck-Mittel-Relation
im Vordergrund. Im Zentrum ihrer Verantwortung steht jedoch die Qualität der
Dienstleistungen, da die Akzeptanz dieser Qualität nicht vom Preis, sondern vom
demokratischen Votum bestimmt wird. Schließlich bleibt die Verantwortung der
Gemeinden bestehen, mag der Gesetzgeber auch auf eine ausdrückliche
Aufgabenzuweisung an die Gemeinde verzichten. Denn wenn ein
Abfallentsorgungsunternehmen oder ein Klärwerk insolvent werden, werden sich
die verantwortlichen Gemeindepolitiker kaum zurücklehnen können und der
Bevölkerung vermitteln, dies alles ginge sie nichts an. Vielmehr muss die
Gemeinde in Wahrnehmung ihrer demokratischen Grundverantwortung hier wohl oder
übel einspringen.
5. Aus
der Sicht der österreichischen Gemeinden ist der Trend zur Liberalisierung der
Daseinsvorsorge abzulehnen. Gleichwohl ist es völlig ungewiss, wohin die
gemeinschaftsrechtliche und Nationalrechtliche Zukunft der Daseinsvorsorge
gehen wird. Aus derzeitiger Sicht ist jedoch in absehbarer Zeit ein Ausklinken
der Gemeinden aus der Daseinsvorsorge nicht zu erwarten. Um aber zu verhindern,
dass diese Aufgaben mit Hinweis auf mögliche Privatisierungsstrategien
finanzausgleichsrechtlich ausgehungert werden, muss eine Verankerung in der
österreichischen Finanzverfassung unbedingt erfolgen. Dazu gibt es mehrere
Möglichkeiten: Man könnte die Aufgaben der Daseinsvorsorge im Abschnitt „Gemeindeaufgaben“
in Art 118 B-VG ausdrücklich erwähnen. Zusätzlich bedarf die Daseinsvorsorge,
aber auch die kommunale Infrastruktur, einer ausdrücklichen Regelung im F-VG.
Man könnte einen weiteren Satz der Bestimmung des § 4 F-VG anfügen: „Die
Finanzausgleichsgesetzgebung hat auf die nachhaltige Sicherung der Aufgaben der
Daseinsvorsorge durch die Gemeinde und die kommunale Infrastruktur Bedacht zu
nehmen“.