BMF - Abteilung II/3

 

Mitwirkung des Bundes an der Landesabgabengesetzgebung:

§ 9 F-VG 1948

 

1.      kurze Erläuterung des § 9 F-VG[1]

Für Gesetzesbeschlüsse der Landtage, die Landes- oder Gemeindeabgaben zum Gegenstand haben, gelten gemäß Art. 98 Abs. 4 B-VG die Bestimmungen des § 9 F-VG. Im Unterschied zu Art. 98 B-VG endet das Verfahren nach § 9 F-VG im Falle eines Einspruchs der Bundesregierung wegen Gefährdung von Bundesinteressen nicht durch einen Beharrungsbeschluss des Landtages. Vielmehr entscheidet in diesem Fall (sofern die Bundesregierung ihren Einspruch nicht zurückzieht) ein ständiger Ausschuss, der 26 Mitglieder umfasst (je zur Hälfte von National- und Bundesrat beschickt), darüber, ob der Einspruch aufrecht bleibt.

 

Inhaltlich geht es bei § 9 F-VG nicht nur um Rechtskontrolle, sondern um eine politische Entscheidung in Fällen widerstreitender wirtschafts- und finanzpolitischer Interessen der Gebietskörperschaften.

 

Der Vorteil einer vorgeschalteten politischen Kontrolle gegenüber einer nachprüfenden verfassungsrechtlichen Überprüfung durch den VfGH liegt aber auch darin, dass nicht erst ein unter Umständen langwieriges Verfahren abgewartet werden muss. Schon im Vorfeld können sowohl rechtliche als auch (finanz-)politische Überlegungen zum Zug kommen und andere Gebietskörperschaften bzw. Normadressaten vor den Auswirkungen allfälliger rechtswidriger Rechtssetzung im Abgabenbereich durch ein demokratisch legitimiertes gemeinsames Organ des Nationalrates und der Länderkammer geschützt werden.

 


2.      Auflistung:

 

Entscheidungen des gemeinsamen Ausschusses des Nationalrates und des Bundesrates gem. § 9 F-VG bei Einsprüchen der Bundesregierung gegen Landesabgabengesetze

(im Zeitraum 1988 bis heute)

 

NÖ Starkstromleitungsabgabegesetz 1994

Besteuerungsgegenstand:                        Bestand von Starkstromfreileitungen

Bemessungsgrundlage:                        Länge der bestehenden Starkstromfreileitungen

Steuerschuldner:                        Eigentümer der jeweiligen Freileitung

 

Einspruch der Bundesregierung, begründet wie folgt:

Ø      Die Starkstromleitungsabgabe stellt eine Energieverbrauchsabgabe dar, die gem. § 7 FAG 1993 in die Kompetenz des Bundesgesetzgebers fällt.

Ø      Verstoß gegen das Fernwärmeförderungsgesetz des Bundes (Rechtsgrundlage für dieses Bundesgesetz bildet § 7 Abs. 4 F-VG)

Ø      direkte Auswirkungen der Starkstromleitungsabgabe auf das Aufkommen an KöSt (als ausschließliche Bundesabgabe)

Ø      Neutralisierung der Effekte der Steuerreform 1994

Ø      Widerspruch zum Konjunkturbelebungs- und Stabilitätspakt 1993 und energiepolitischen Zielsetzungen der Bundesregierung

Ø      Auswirkungen auf die Inflationsrate (Erhöhung der Tarife der EVN-AG)

Ø      Durch die Einbeziehung der Verbundgesellschaft werden im Wege des Verbundtarifs über NÖ hinaus sämtliche Landesgesellschaften (insbes. die Wienstrom GmbH) und Verbraucher in den anderen Bundesländern belastet (Steuerexport!).

 

In weiterer Folge:

Beharrungsbeschluss des NÖ Landtages und Sitzung des 26er Ausschusses, in der der Beschluss, dass der Einspruch der Bundesregierung aufrecht zu bleiben hat, angenommen wurde.

 


Sonderfälle ohne Befassung des Ausschusses

 

Salzburger Umweltfondsgesetz 1992 (Mautstraßenerhaltungsabgabe)

Besteuerungsgegenstand:     Erhaltung von Mautstraßen

Bemessungsgrundlage:     Länge der Mautstraße und Anzahl der KFZ, die die Mautstraße benützen

Steuerschuldner:                        Erhalter der Mautstraße

 

Praktisch war von dieser Abgabe hauptsächlich der Bund betroffen, und zwar über seine Beteiligung an der

§         Felbertauernstraße AG (60,46 % Bund),

§         Großglockner-Hochalpenstraße AG (79 % Bund) und

§         Tauernautobahn AG (100 % Bund).

 

Einspruch der Bundesregierung, begründet wie folgt:

Ø      Die Mautstraßenerhaltungsabgabe stellt eine gleichartige Abgabe zur Umsatzsteuer als gemeinschaftliche Bundesabgabe dar und wurde ohne bundesgesetzlich erforderliche Ermächtigung erhoben (§ 8 Abs. 3 F-VG).

Ø      Versuch, die Bundesfinanzen durch Steuerexport in den Bundesbereich zugunsten der Landesfinanzen zu schädigen (Bund als hauptsächlicher Steuerschuldner)

 

Ungeachtet des Einspruchs wurde der Gesetzesbeschluss verfassungswidrig ohne Beharrungsbeschlusses durch den Sbg. Landtag im Landesgesetzblatt kundgemacht. Der im § 9 F-VG vorgesehene Ausschuss konnte somit nicht befasst werden.

 

Der VfGH hob in Folge das Sbg. Umweltfondsgesetz wegen Nichtbeachtung des § 9 F-VG auf.

 

 

NÖ Abfallwirtschaftsgesetz 1992 (Standortabgabe)

Besteuerungsgegenstand:     Lagerung von gemeindefremden Abfällen im Gemeindegebiet

Bemessungsgrundlage:                        Gewicht des deponierten Abfalls

Steuerschuldner:                        Betreiber einer "Behandlungsanlage" (= Deponie)

 

Einspruch der Bundesregierung, begründet wie folgt:

Ø      Gleichheitswidrigkeit: Es lag in der nicht näher determinierten Disposition der Landesregierung, durch – zeitlich unterschiedliche – Erlassung von Verordnungen einzelnen Gemeinden die Möglichkeit der Abgabenerhebung zu nehmen, anderen aber nicht.

Ø      Die Standortabgabe stellte eine gleichartige Abgabe von demselben Besteuerungsgegenstand neben der Bundesabgabe Altlastenbeitrag dar und wurde ohne bundesgesetzlich erforderlicher Ermächtigung erhoben (§ 8 Abs. 3 F-VG).

 

In Folge des Einspruchs der Bundesregierung wurden die ggstdl. Bestimmungen aus dem Gesetzesbeschluss entfernt.

Ähnliche Regelungen im NÖ Standortabgabegesetz 1992 wurden später vom VfGH aufgehoben.

 

 

Stmk. Naturnutzungsabgabengesetz 1996

Besteuerungsgegenstand:     unmittelbare Entnahme von Wasser aus natürlichen Lagerstätten für Zwecke der Bewässerung und Tierhaltung sowie für Feuerlöschzwecke

Bemessungsgrundlage:                        Menge des entnommenen Wassers

Steuerschuldner:     derjenige, der Wasser entnimmt, sowie derjenige, auf dessen Rechnung die Entnahme erfolgt

 

Das Ziel des Gesetzes war erkennbar die Besteuerung des Wiener Hochquellwassers, somit ein Steuerexport zulasten der Wiener Bevölkerung und zugunsten der Steiermärkischen Landesfinanzen. Die Entnahme in der Steiermark selbst wurde großflächig von der Besteuerung befreit.

 

Einspruch der Bundesregierung, begründet wie folgt:

Ø      Verbrauchsabgaben der Länder, die auch den Verbrauch außerhalb des Geltungsgebiets der Abgaben treffen oder nicht grundsätzlich den gesamten Verbrauch in diesem Geltungsgebiet erfassen, sind unzulässig (§ 8 Abs. 4 F-VG)

Ø      Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, insbes. unzulässige Bevorzugung bestimmter stmk. Verbraucher durch Ausnahmebestimmungen

Ø      Verzerrung des bis zum Jahr 2000 vereinbarten Finanzausgleichs durch die Belastung des Verbrauchs außerhalb der Steiermark (Wiener Hochquellwasserleitung!)

 

Der Stmk. Landtag fasste keinen Beharrungsbeschluss.

 

 

NÖ Landschaftsabgabegesetz 1999

Besteuerungsgegenstand:     Gewinnung und Erstlagerung sämtlicher mineralischer Rohstoffe (Ausnahme: Erdöl, Kohle und Erdgas) und von Lockermaterial

Bemessungsgrundlage:                        Menge des gewonnenen und erstgelagerten Materials

Steuerschuldner:     Betreiber einer Gewinnungsstätte oder einer Erstlagerung eines abgabepflichtigen Materials

 

Einspruch der Bundesregierung, begründet wie folgt:

Ø      Verbrauchsabgaben der Länder, die auch den Verbrauch außerhalb des Geltungsgebiets der Abgaben treffen, sind gem. § 8 Abs. 4 F-VG unzulässig, soweit es sich nicht um Abgaben auf entgeltliche Lieferungen, für die eine bundesgesetzliche Ermächtigung besteht, handelt.

Ø      Die Landschaftsabgabe umfasste auch die Gewinnung von mineralischen Rohstoffen, die im Eigentum des Bundes stehen (Gefährdung von Bundesinteressen)

 

Durch die Besteuerung des Verbrauchs auch außerhalb Niederösterreichs wäre es auch hier zum Steuerexport zulasten anderer Bundesländer und deren Bevölkerung gekommen.

 

Der NÖ Landtag fasste keinen Beharrungsbeschluss.

 



[1] nach Ruppe, Art 9 F-VG, in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, Rz 2-7 (1999)