Neufassung der Art 9 Abs 2 und 50 B-VG
zur Lösung des Problems
der Verfassungsbestimmungen in Staatsverträgen

(Fassung 11. Mai 2004)

 

 

1. Artikel 9 Absatz 2 B-VG hat zu lauten:

Durch Gesetz oder Staatsvertrag können einzelne Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen[1] oder fremde Staaten übertragen werden. Weiters kann die Tätigkeit von Organen zwischenstaatlicher Einrichtungen oder fremder Staaten im Inland sowie die Tätigkeit österreichischer Organe im Ausland geregelt werden. [Dabei kann auch vorgesehen werden, dass österreichische Organe der Weisungsbefugnis der Organe fremder Staaten oder zwischenstaatlicher Einrichtungen oder diese der Weisungsbefugnis österreichischer Organe unterstellt werden.][2]

 

2. Artikel 50 Absatz 2a[3] hat zu lauten:

Soweit ein Staatsvertrag zu seiner Änderung ermächtigt, bedarf eine derartige Änderung keiner Genehmigung nach Absatz 1, es sei denn dass sich der Nationalrat dies vorbehält.

 

3. Im Artikel 50 Absatz 3 sind die Worte "und, wenn durch den Staatsvertrag Verfassungsrecht geändert oder ergänzt wird, Artikel 44 Absatz 1 und 2" sowie der zweite Halbsatz zu streichen.

 


Erläuterungen

 

1981 wurde Art 9 Abs 2 B-VG eingeführt, um die Fülle von Verfassungsbestimmungen in Staatsverträgen zu reduzieren. Der Versuch ist nur teilweise gelungen. Nach wie vor findet sich eine Fülle von Verfassungsbestimmungen in Staatsverträgen.

1. Das Hauptproblem: Hoheitsrecht der Länder

Der Hauptmangel des Art 9 Abs 2 B-VG besteht unter diesem Aspekt in seiner Beschränkung auf "Hoheitsrechte des Bundes", die erst in den Ausschussberatungen des NR eingefügt wurde. Sie ist jedoch systemwidrig, weil der Bund zum Abschluss von Staatsverträgen ohne kompetenzrechtliche Beschränkungen berechtigt ist (Art 10 Abs 1 Z 2 B‑VG). Der Bund kann daher die Kompetenzen der Länder durch einen von ihm abgeschlossenen Staatsvertrag viel intensiver beschränken, als es durch die Übertragung einzelner (!) Hoheitsrechte auf fremde Organe in dem völkerrechtlich allgemein üblichen Ausmaß regelmäßig geschieht. Die Wahrung der berechtigten Interessen der Länder müsste auf andere Weise erfolgen, etwa durch das Zustimmungsrecht des Bundesrates gemäß Art 50 Abs 1 letzter Satz B-VG oder durch andere, in der künftigen Verfassung vorgesehe Mitwirkungsrechte der Länder (siehe etwa das Modell des Art 23d B‑VG).

2. Weitere Probleme der Praxis seit 1981

a. Art 9 Abs 2 B-VG sieht nur eine Übertragung von Hoheitsrechten auf "zwischenstaatliche Einrichtungen und ihre Organe" vor. Vereinzelt kommt es in neuerer Zeit auch zu dem Bedürfnis, Hoheitsrechte auf Organe eines anderen Staates zu übertragen (zB die Ausstellung kurzfristiger Visas; hierher gehört auch das Problem der einem anderen Staat zuzurechnenden Einräumung polizeilicher Befugnisse an private Organe, zB in Luftfahrzeugen). Dies ist durch den Wortlaut des geltenden Art 9 Abs 2 B-VG nicht gedeckt und sollte durch eine Erweiterung des ersten Tatbestandes ermöglicht werden. Eine explizite verfassungsrechtliche Ermächtigung, dass auch österreichische Organe gleichartige Befugnisse für fremde Staaten auf der Grundlage eines formellen (österreichischen) Gesetzes oder gesetzändernden Staatsvertrages ausüben können, erscheint dagegen nicht erforderlich.

b. Art 9 Abs 2 B-VG sieht ferner nur die Tätigkeit von Organen fremder Staaten im Inland vor, nicht aber auch die Tätigkeit von Organen zwischenstaatlicher Einrichtungen. Es wird vorgeschlagen, Art 9 Abs 2 B-VG in diesem Sinn zu erweitern.

c. Bei der Tätigkeit österreichischer Organe im Ausland stellt sich das Problem der – im Text des Art 9 Abs 2 nicht explizit vorgesehenen – Unterstellung unter die Weisungsgewalt ausländischer Organe. Umgekehrt werden auch ausländische Organe österreichischer Hoheit unterstellt. Derartige Regelungen finden sich vor allem in bilateralen Katastrophenhilfeabkommen. Die bisherige Praxis geht in solchen Fällen davon aus, dass dies durch Verfassungsbestimmungen "abgesichert" werden müsse. Es kann allerdings auch mit guten Gründen und in Übereinstimmung mit dem Schrifttum (Novak/Wieser, Zur Neukodifikation des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 1994, 177 f; Öhlinger, Art 9 Abs 2 B-VG, in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, Rz 10) die These vertreten werden, dass die Einräumung einer derartigen Befugnis bzw Bindung schon in der Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten inkludiert ist, zumal der hier vorgelegte Entwurf ausdrücklich auch eine Übertragung von Hoheitsrechten an fremde Staaten vorsieht. Insofern wäre der zweite Satz in der hier vorgeschlagenen Fassung des Art 9 Abs 2 B-VG überflüssig und würde eine entsprechende Klarstellung in den EB ausreichen. Daher wurde die entsprechende Ergänzung des Art 9 Abs 2 B-VG vorerst in Klammern gesetzt.

d. Keine praktische normative Bedeutung kommt der Formel "im Rahmen des Völkerrechts" zu. Diese Worte können gestrichen werden.

e. Angemerkt sei, dass aus dem geltenden und dem neu vorgeschlagenen Text des Art 9 Abs 2 B-VG nicht zwingend hervorgeht, dass Österreich Mitglied jener zwischenstaatlichen Organisation sein muss, der einzelne hoheitliche Aufgaben übertragen werden können. Insofern wäre auch eine Übertragung auf eine solche Organisation verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen.

f. In Übereinstimmung mit der Lehre (vgl Novak/Wieser, aaO, 174 f) ist davon auszugehen, dass auch sogenannte "Zuwarte- und Bedachtnahmeregeln" – die Vertragsparteien verpflichten sich, Entwürfe technischer Vorschriften einer zwischenstaatlichen Einrichtung bekannt zu geben und ab dem Zeitpunkt dieser Notifikation eine vertraglich vereinbarte Stillhaltezeit einzuräumen –, schon auf Grund eines aus Art 9 Abs 2 B-VG ableitbaren Größenschlusses nicht als verfassungsändernd anzusehen sind. Es handelt sich dabei um eine geringfügigere Beschränkung der staatlichen Rechtsetzungsbefugnisse als es die "Übertragung" solcher Befugnisse auf eine zwischenstaatliche Einrichtung darstellen würde. Es ist zwar richtig, dass der eine solche Vertragsbestimmung genehmigende Gesetzgeber nicht sich selbst für die Zukunft binden kann; der Gesetzgeber ist aber auch nicht daran gehindert, im Einklang mit einer solchen Vertragsbestimmung zu handeln und eine Völkerrechtsverletzung zu vermeiden, auch wenn diese nicht zugleich eine Verfassungsverletzung bildet.

3. Zur Rechtsform der Übertragung

Der geltende Art 9 Abs 2 B-VG sieht eine Übertragung (1. Tatbestand) bzw Regelung (2. Tatbestand) "durch Gesetz oder durch eine gemäß Art 50 Abs 1 B-VG zu genehmigenden Staatsvertrag" vor. Das Wort "Gesetz" deutet an, dass eine solche Regelung durch den Bundes- oder Landesgesetzgeber – entsprechend der bundesverfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung – erfolgen kann. Ausgeschlossen wird damit aber die Rechtsform eines Staatsvertrages nach Art 16 Abs 1 B-VG, was durch den Entstehungszeitpunkt des Art 9 Abs 2 B-VG (1981) erklärbar (Art 16 Abs 1-3 B-VG wurde erst später – 1988 – geschaffen), aber nicht konsequent ist. Durch Streichung des Verweises auf Art 50 B-VG werden auch staatsvertragliche Regelungen auf der Ebene der Länder (im Rahmen ihres Wirkungsbereichs) ermöglicht.

4. Vereinfachte Vertragsänderungsverfahren

Ein spezielles Problem bilden die in multilateralen Staatsverträgen häufig vorgesehenen Regelungen über eine künftige vereinfachte Abänderung (Ergänzung) von Textteilen (Anhängen, Annexen) eines solchen Vertrages. Die (neuere) Praxis versteht richtig die Befugnis einer Staatenmehrheit zur künftigen Abänderung (von Teilen) des jeweiligen Vertrages als eine Übertragung von Hoheitsrechten auf eine zwischenstaatliche Einrichtung iSd Art 9 Abs 2 B-VG und verlangt daher für solche Regelungen nicht den Verfassungsrang. Anders verhält es sich, wenn ein solcher Beschluss nur unter Mitwirkung Österreichs zustande kommen kann: Dafür wird in der Praxis eine Verfassungsbestimmung als erforderlich erachtet (vgl etwa die EB zu Art 8 des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle BGBl 1990/496, 1189 Blg Nr XVII. GP).

Dieser im Lichte des Art 9 Abs 2 B-VG offensichtliche Widersinn findet seine Erklärung darin, dass es hier nicht eigentlich um das Problem einer Übertragung von Hoheitsrechten geht, sondern um die Frage nach den Organen, die auf österreichischer Seite in einem solchen Vertragsänderungsverfahren mitzuwirken haben: Muss der österreichische Willensakt (Zustimmung, Ablehnung) dem Nationalrat gemäß Art 50 B-VG zur Genehmigung unterbreitet werden? Die Fristen, innerhalb der derartige Erklärungen regelmäßig abzugeben sind, oder auch sonstige Verfahrensmodalitäten machen eine Einschaltung des Bundesparlaments praktisch kaum möglich. Andererseits geht es aber um die Abänderung eines vom Bundesparlament genehmigten und daher auf Gesetzesstufe stehenden Staatsvertrags, die daher nach österreichischem Rechtsverständnis ihrerseits als gesetzändernd zu qualifizieren ist. Die Praxis nimmt an, dass die Hebung derartiger Klauseln in den Verfassungsrang von der künftigen Beteiligung des Nationalrats und Bundesrats dispensiert. Dies kommt zwar oft gar nicht im Text solcher Klauseln selbst zum Ausdruck, entspricht aber ihrem Sinn.

Die generelle Lösung dieses Problems kann nicht bei Art 9 Abs 2 B-VG, sondern muss bei Art 50 B-VG ansetzen. Es wird vorgeschlagen, in einem neuen Absatz für solche vereinfachte Vertragsänderungen oder -ergänzungen von der Genehmigung des Nationalrats zu dispensieren, sofern sich dies der Nationalrat nicht anlässlich der Genehmigung des "Stammvertrages" ausdrücklich vorbehält. Ein solcher Vorbehalt soll den gleichen Regeln unterliegen wie ein Erfüllungsvorbehalt gemäß Art 50 Abs 2 B-VG (geltende Fassung) oder ein Beschluss gemäß Art 49 Abs 2 B-VG.

5. Die Zukunft verfassungsändernder Staatverträge

Ziel dieser Vorschläge ist es, in Zukunft Verfassungsbestimmungen in Staatsverträgen zur Gänze zu vermeiden. Durch solche Verfassungsbestimmungen wird kein Problem gelöst, das allenfalls in der Abgabe von Hoheitsrechten und anderen Beschränkungen der nationalen Souveränität gesehen werden könnte. Solche Probleme sind vielmehr in den Verhandlungen über den jeweiligen ("souveränitätsbeschränkenden") Staatsvertrag zu berücksichtigen. Die Bundesverfassung sollte aber für solche Verhandlungen einen sinnvollen Spielraum im Rahmen des international Üblichen vorgeben.

Sollte in Zukunft eine staatvertraglich Regelung mit dem Bundesverfassungsrecht nicht kompatibel sein, so wäre vorweg oder spätestens bei Abschluss des Vertrages der Text der Bundesverfassung so zu ändern, dass diese Kompatibilität hergestellt wird. Um dies an einem Beispiel zu illustrieren: Enthält ein Staatsvertrag eine die Immunität von Abgeordneten einschränkende Bestimmung (vgl zB Art 27 des Statuts über den Internationalen Strafgerichtshof BGBl III 2002/180), so wäre die dem entgegenstehende bundesverfassungsgesetzliche Regelung (heute: Art 57 B-VG) entsprechend zu adaptieren. Die Vereinbarkeit einer staatsvertraglichen Regelung mit der Bundesverfassung unterliegt der Kontrolle des VfGH nach Art 140a B-VG. (Daran sollte nichts geändert werden.) Stellt der VfGH eine solche Unvereinbarkeit nachträglich fest, so hat er die unmittelbare Anwendung dieses Vertrages, allenfalls unter Setzung einer aufschiebenden Frist bis zu zwei Jahren, zu suspendieren. In dieser Zeit wäre entweder der Staatsvertrag nach völkerrechtlichen Regeln zu kündigen oder die Bundesverfassung entsprechend zu ändern.

Angemerkt sei allerdings, dass der Ausschuss 2 vorerst die Frage des Verfassungsrangs der Staatsverträge mit grundrechtlichem Gehalt – insbesondere der EMRK – nicht behandelt hat. Diesbezüglich wäre die Beratung mit dem Ausschuss 4 zu koordinieren.

Was grenzändernde Staatsverträge betrifft, wird auf die vorgeschlagene Neufassung der Art 2 und 3 B-VG verwiesen.

 

 



[1] Der Hinweis auf die Organe solcher Einrichtungen im geltenden Art 9 Abs 2 B-VG kann als überflüssig entfallen. Ein Hoheitsrecht ist immer der juristischen Person zuzurechnen.

[2] Zur Klammer siehe die Erläuterungen (2.c.).

[3] Diese Nummerierung ist selbstverständlich nur als vorläufig anzusehen und soll die Ergänzung des geltenden Art 50 B-VG hervorheben.