Dr. Madeleine Petrovic
Artikel 13 Abs.
2 B-VG
Vorbemerkung:
Nachfolgend wird der Versuch einer Neuformulierung des Artikels 13 Abs. 2 B-VG gemacht. Aufgrund des in den nächsten Wochen zu erwartenden Erkenntnisses des EuGH zum Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU und aufgrund der zu erwartenden Revision desselben sollte die endgültige Formulierung von Verfassungsbestimmungen zum Artikel 13 Abs. 2 allfällige Neuerungen berücksichtigen.
Art. X Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht
Bund, Länder und Gemeinden verpflichten sich zur Finanzpolitik als Mittel zur Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und zur tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern. Diesen Erfordernissen ist durch Maßnahmen Rechnung zu tragen, die zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Wirtschaftswachstum, der Teilnahme am Erwerbsleben, der Stabilität des Preisniveaus, der Verteilungsgerechtigkeit, insbesondere zwischen den Geschlechtern und Generationen, und dem Schutz der Umwelt beitragen.
Bund, Länder und Gemeinden koordinieren im Rahmen der Erstellung und des Vollzugs ihrer Haushalte ihre finanz- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen im Hinblick auf diese Zielsetzungen. Die dafür erforderlichen Daten sind rechtzeitig zur Verfügung zu stellen.
Bund, Länder und Gemeinden sorgen dafür, dass ihre jeweilige Verschuldung im Verhältnis zu ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mittelfristig einen vom Gesetzgeber festzulegenden Grenzwert nicht überschreiten. Eine Neuverschuldung bis zum Ausmaß der öffentlichen Investitionen ist zulässig. Die nachhaltige Entwicklung der jeweiligen Haushalte ist dabei zu gewährleisten.
Die jährlichen Ausgaben werden im Rahmen einer mittelfristigen Budgetplanung unter Berücksichtigung der jeweiligen Finanzlage festgelegt.
Erläuterung:
Der erste Absatz enthält einerseits einen Hinweis auf die Bedeutung der öffentlichen Haushalte als Instrument Erreichung eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Andererseits wird in Anlehnung an H. Kramer[1] und § 2 Abs 2 BHG eine Definition des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts versucht. Die Verpflichtung zur Beachtung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sollte nach Ansicht Kramers so formuliert sein, dass die simultane Optimierung von wirtschaftlicher Entwicklung, Teilnahme am Erwerbsleben, Stabilität des Preisniveaus, sozialem Ausgleich und Umweltschutz unter den gegebenen wirtschaftlichen Beschränkungen Prinzip der Politik ist. Zusätzlich wird auf den Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit hingewiesen.
Im zweiten Absatz wird auf die Notwendigkeit zur Koordination hingewiesen, weil sich die Zielsetzungen auf den Gesamtstaat beziehen und eine entsprechende Koordination der wirtschafts- und finanzpolitischen Instrumente wesentlich zur Erreichung der Zielsetzungen beitragen kann. Eine wichtige Voraussetzung im Rahmen der finanzpolitischen Koordination kommt der Bereitstellung der Daten durch die Gebietskörperschaften zu. Sie erleichtern nicht nur die Koordination für die Erstellung der Haushalte, sie bilden in der Folge auch die Grundlage für Evaluationen von Maßnahmen und Programmen.
Absatz drei formuliert in Anlehnung an schweizerische Diskussionen eine Schuldenbremse, deren konkrete Ausgestaltung der einfachgesetzlichen Ebene vorbehalten bleibt. Hier geht es nur darum, die grundlegenden Prinzipien zu regeln. Dabei wird zunächst fest gehalten, dass die Verschuldung der jeweiligen Gebietskörperschaften mittelfristig den Anforderungen einer nachhaltigen Entwicklung zu genügen hat. Dadurch ist gewährleistet, dass der budgetäre Handlungsspielraum durch die Zinsenbelastung nicht zu stark eingeschränkt wird, gleichzeitig wird dem Aspekt einer fairen Verteilung der Lasten über die Generationen Rechnung getragen.
Der Begriff der Schuldenquote findet als relevante Zielgröße für die Beurteilung der Verschuldung Eingang in die Verfassung. Eine exakte Ausgestaltung des Begriffes wird jedoch nicht vorgenommen, ebenso wenig die Festlegung eines Maximalwertes oder eines Schwankungsbereiches. Die Vorgaben für die maximale Obergrenze der Verschuldung des Gesamtstaates ist mit 60% des BIP im EU-Vertrag, also primärrechtlich, verankert. Die nähere Umsetzung dieses Grundsatzes erfolgt durch gemeinsame Vereinbarungen zwischen den Gebietskörperschaften im innerösterreichischen Stabilitätspakt. Verankert wird auch die „goldene Regel“ des deutschen Grundgesetzes, die eine Neuverschuldung bis zum Ausmaß der öffentlichen Investitionen zulässt. Dabei ist davon auszugehen, dass neben Infrastrukturinvestitionen auch Investitionen in geistiges Kapital zu verstehen sind. Auch H. Kramer[2] hat sich für die „goldene Regel“ und deren Erweiterung ausgesprochen.
In Absatz 4 wird dafür Sorge getragen, dass die Steuerung über die Ausgabenseite erfolgt, womit die Ausgaben von den konjunkturell schwankenden Einnahmen entkoppelt werden. Die Regelbindung der Budgetpolitik erfolgt somit nicht mehr über den Finanzierungssaldo, sondern über die Ausgabenseite. In einer Reihe von Ländern wurden mit der Abkehr vom Defizitziel und dem Übergang zu Ausgabenzielen erfolgreiche Konsolidierungen bzw. die Stabilisierung des Wachstums erreicht (Niederlande, USA: Omnibus Budget Reconciliation Act aus dem Jahr 1990). Eine Fiskalregel, die an der Ausgabenseite anknüpft ist antizyklisch ausgerichtet und vermeidet somit die Tendenz zu prozyklischer Fiskalpolitik, wie sie im Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU angelegt ist.
Bei der Festlegung der Ausgaben ist im Rahmen einer vorgesehenen mittelfristigen Budgetplanung die Situation des Finanzhaushaltes zu berücksichtigen, der sich – wie in Absatz drei vorgesehen - an der Schuldenquote orientiert.